heute entstieg mitten im soldiner kiez eine mittelalte familie aus dem mittelschichtigen ökomilieu mit kleinen kindern ihrer familiendroschke. so ein kombi, wo der bierkasten UND der kinderwagen reinpasst. auf der heckscheibe prangte “allergiegetesteter innenraum” (( beim hersteller heißt es dazu: “Bei geschlossenen Fenstern und Türen schützen die Materialien, zusammen mit dem serienmäßigen Staub- und Pollenfilter, die Insassen vor allergieauslösenden Partikeln aus der Außenluft.”)) – wahnsinn, was es alles gibt. da kann man praktisch nie krank werden, man muss allerdings sein ganzes leben im auto verbringen und fenster und türen geschlossen gehalten. absurde vorstellung?
die familie, übrigens aus einer mittelgroßen westdeutschen stadt, wirkte ganz schön unbeholfen und verloren und starrte mich schüchtern an. über sechs jahre wedding sind an mir jedoch nicht spurlos vorüber gegangen und so bellte ich sie an, was das soll, warum sie mir im weg rumstehen und starren, ob sie nichts besseres zu tun haben, ärger suchen. verpissen sollten sie sich, weil das mein revier ist und sie mit ihren verzogenen gören hier nichts zu suchen hätten. die normale ansprache eben, die worte mit bedacht gewählt, um die fremden nicht gleich abzuschrecken. doch leider verfehlten meine worte ihre wirkung nicht und die kleinfamilie verkroch sich wieder in den warmen arsch ihrer reihenhaussiedlung am rand von … na? bonn!
Disclaimer: Teile der Geschichte sind erfunden, Ähnlichkeiten mit bekannten oder unbekannten Personen rein zufällig und Tiere kamen bei den Dreharbeiten zumindest nicht ernsthaft um.
zum thema gentrifizierung hatten wir ja schon ein paar artikel hier (( der wedding wird bunt (Oktober 2010) Wird der Wedding bald Luxus? (Mai 2010) Gentri-was? (Juli 2008) schwabenbashing aus weddinger sicht (Juni 2008) )). also nicht neues für den aufmerksamen leser. heute wollen wir uns aber nicht mit den folgen und auswirkungen beschäftigen, sondern dem neu-berliner und neu-reichen und zugezogenem schwaben eine kleine starthilfe mitgeben. dass er nicht bei null anfangen muss mit der aufwertung. vor allem im wedding, dem neuen lieblingsprojekt der gentrificateure.
alles fing ganz harmlos an letzte woche. s. fragte an, ob wir ihm nicht helfen könnten beim ausmisten seines neuen wohnraums. oben, im afrikanischen viertel. nur ein paar schränke müssten raus. klar, warum denn nicht, man hilft ja wo man kann. und dann gings auch schon los. hat natürlich alles wieder viel länger gedauert als geplant. der teppich war fest mit den dielen verklebt, eine dicke schicht hartnäckiger NASA-weltraumkleber wurde vor 40 jahren hier getestet. entsprechend mühsam war die entfernung. der schrank im schlafzimmer bestand aus stahlbetonholz und krümmte den raum durch seine schiere masse und anziehungskraft. der ikea-schreibtisch bestand aber nur aus pappe, das war dann erleichternd.
nur musste das zeug auch irgendwo hin. eine ganze robbenpritsche voll. und weil es in berlin so wenig wald gibt, eben auf den BSR-hof. im prenzlauer berg, weils so schön nah ist. aber nein! dort schickte man uns übellaunig weg, weil wir zu voll waren – kein unüblicher zustand. man verwies uns nach neukölln. da werden wir alles los, aber nur gegen geld. weil auf den kleinen BSR- höfen nur zwei kubikmeter zeuch abgeladen werden darf. na toll. die fahrt dahin war auch nicht ohne, weil irgendwelche antifas kreuzberg blockierten und wir drumrum mussten.
irgendwann sind wir aber angekommen, gradestraße, britz von seiner schönsten seite. das gelände erinnerte eher an einen grenzübergang mit irrsinnig vielen fahrspuren und hinweisen und überhaupt. zum glück war nicht viel los. alle aussteigen, das gefährt musste gewogen werden. runter vom gummi, schrien sie. damit das gewicht nicht verfälscht wird, klar.
und dann weiter, eine rampe hoch und in eine riesige halle mit dem flair einer lego-mondstation. kunstlicht, herumfahrende bagger, sirenen. irreal, surreal, unwirklich (( ein nicht-ort, hätte der stadtsoziologe geschimpft. der war aber gar nicht dabei)). dazwischen freundliche, soldatisch-anweisende mitarbeiter. der müll wird auf riesige container verteilt. gesagt, getan. es macht auch unglaublich spaß, ehemalige wohnmöbel mit gewalt auf einen haufen zu wuchten. streßabbau der kopfarbeiter. und dann wieder raus, das auto wird wieder gewogen, die differenz – stolze 700 Kilo immerhin – will bezahlt werden. eine horrende summe für müll ausgegeben, auch eine schöne scheiße. aber immerhin ein reines gewissen. wer weiß, was die tolles nun damit machen. wärme, strom, neue möbel, einen noch größeren uber-recyclinghof bauen, was weiß ich denn.
was bleibt, ist die erkenntnis, das nächste mal mehr geld in wertigere möbel zu investieren.
sonntag morgen um halb sechs im wedding, es wird langsam hell, vögel zwitschern, autos fahren die müllerstraße hoch und die seestraße runter. die straßenbahnen lassen auf sich warten. wie stählerne, leuchtend gelbe königinnen gleiten sie majestätisch über die schienen.
der imbiss zur mittelpromenade ((vgl. dazu WERNING, Heiko: In Bed with Buddha. Ein episodischer Entwicklungsroman)) hat schon geschlossen, nur der kiosk daneben hat schon auf. davor ein mittdreißiger mit großem hund. und seine junge und aufgetakelte freundin. die soll das hundeführen erlernen, stellt sich aber nicht sehr geschickt an, unser mittdreißiger wird ungeduldig, schreit sie an. nuckelt an seiner bierflasche und kann sich kaum noch grade auf den beinen halten. ein paar jüngere kommen vorbei, es wird getuschelt, geschrien, der hund wird umarmt, alles sehr abstrakt. ist das jetzt schon kleinkriminalität oder noch assi? der betrachter wird es nie erfahren, denn irgendwann kommt auch mal die straßenbahn und bringt einen nach hause. zeit wirds.
Zum Jubiläum ein ganz besonders Geschenk an die werte Leserschaft: Bisher unveröffentlichte Bilder einer Kiezwanderung an einem sonnigen Tag im Dezember 2006. Mit ganz vielen (Eck-)Kneipen und Läden, die es gar nicht mehr gibt. So manches sieht fünf Jahre später ganz anders aus und in fünf Jahren wird es da auch wieder anders aussehen. Dann sprechen wir uns wieder. Übrigens jetzt mit dollem Überlagerungs-Bilderanzeigdings, war Steffens Idee…
ein paar neue bilder, unter anderem mit dem heimatmuseum, immer mal wieder einen besuch wert. seitdem die sonne wieder lacht, macht auch das knipsen wieder spaß. soviel sonne war ja lange nicht mehr. soll ja auch bald frühling werden.
der stern hat einen interessanten artikel über kids aus dem soldiner kiez, die geld dafür bekommen, dass sie scheiße fürs fernsehen bauen, damit sarrazin am ende doch recht behält (via).
Und hier die Preisliste:
Zeigen einer Stichwaffe: 20-50 €
Gruppenfoto mit Messer: bis 400 €
Zeigen eines Gewaltvideos im Handy: 10-30 €
Erzählen einer Skandalgeschichte war 250-400 €
gestellte Prügelszene: 400 €
Posen mit Kapuze vor der Kamera: 30-100€
Andeuten eines Steinwurfs in Richtung der Reporter: 250 €
wo können klischees besser ausgelebt werden als in der photographie? eine dokumentation der ressentiments…
An einem Sonntag in der Oderberger (Mai 2010)An einem Sonntag in der Oderberger II (Mai 2010)Jazz im Bürgerpark (Mai 2010)Hinterhof im Wedding (Mai 2010)Hinterhof im Wedding II (Mai 2010)Ordnung in Charlottenburg (Mai 2010)Strandbar in Mitte (Juni 2010)Aufwertung in Prenzlauer Berg (Juli 2010)
ist zwar schon zwei jahre alt, kannte ich aber noch nicht: christoph theussl besingt berlins geldsorgen und lässt sich filmen auf der behmstraßenbrücke, auf dem humboldthain, am leo und auf dem gesundbrunnencenter.