occupy campingplatz

Jede Geschichte, auch diese Geschichte vom Caravaning, ist eine Geschichte des Klassenkampfs. Nur dass sich hier die gesellschaftliche Demarkationslinie zwischen den Zelten und den Wohnwagen materialisiert. Eine Woche Urlaub in einem Wohnwagen auf einem polnischen Zeltplatz ersetzt ein Semester Soziologie, den Schein gibts an der Rezeption.

Unser Wohnwagen ist über zwanzig Jahre alt und gehörte einer – Achtung! Klischee! – niederländischen Familie und nun der schönen Mitbewohnerin ihren Eltern. Er ist weiß, wie überhaupt alle Wohnwagen (( Offenbar bin ich nicht der einzige, der sich diese Frage stellt. Die Antwort hier, banal, ihr ahnt es: Kosten, Hitze, blabla)) und es gibt einen gigantischen Zeltvorbau. Im Wohnwagen selbst ist viel Platz zum Schlafen und Verstauen, nur nicht zum Bewegen. Es gibt eine Nasszelle mit Chemieklo, ein Kochfeld mit Gas, Strom, einen Kühlschrank, einen Fernseher.

Perfekt ausgestattet also, nur fließend Wasser fehlt, das muss vom Hahn geholt werden und das Trinkwasser wird im Laden gekauft. Duschen und Klos sind nicht weit, nur warmes Wasser gibt es nicht oft. Dreckiges Geschirr wird auch woanders abgewaschen und so besteht der Tag aus Hin- und Herlaufen und auf den Wegen herrscht geschäftiges Treiben, weil es allen so geht. Dazwischen Rad fahrende und spielende Kinder. Abends Stimmengewirr und Feierlaune. Wer Ruhe sucht, sollte nicht auf einen Campingplatz fahren. Rumliegen und Nichtstun kann man in einem All-inclusive-Cluburlaub, hier wird geschafft und Alltag en miniature gespielt. Unter ständiger Beobachtung, denn Privatsphäre gibt es nur im Wohnwagen, und da ist notorischer Platzmangel. Also akzeptieren, dass jedes Tun nicht unbeobachtet bleibt.

Uns gegenüber wohnt ein veraltetes Ehebärchen, die einen Großteil des Tages vor ihrem Wohnwagen verbringen, stricken und reden. Zwei Monate des Jahres sind sie hier, seit 20 Jahren. Das ist Kontinuität. Sie kennen jeden, quatschen mit jedem. Neuzugänge betrachten sie mit Argwohn. Wenn einer aus der Reihe tanzt, wird er schon mal angeschwärzt bei der Verwaltung, Ordnung muss sein. Kann ja nicht sein, dass einer nach 24 Uhr noch Spaß hat. Das sind zum Glück die einzigen Kleingartennazis, ansonsten viele Familien mit noch mehr Kindern und entspannten Eltern. Im Großen und Ganzen kann man tun, was einem beliebt. Nur bleibt das eben nicht unkommentiert.

Mit denen, die nur ein Zelt habe, hat man nichts gemein, die trifft man nur am Strand und im Wassertrakt, erkennbar am mitgebrachten Wasserkocher, so ein Zelt hat eben kein fließend Strom.

Und nun die Antwort auf die brennendste aller Fragen: Was passiert mit dem Inhalt von einem Wohnwagenklo? Es muss ausgeleert werden, per Hand sozusagen, auf einem kleinen Wägelchen rollt man zur speziell dafür vorgesehenen Anlage…

anmerkungen zu bleicherode, thüringen

eine kleinstadt bei nordhausen, oben links in thüringen. kurz vorm harz, kurz vorm westen. keine 7.000 einwohner, dafür eine lange geschichte. und vor allem: meine oma wohnt dort, hier habe ich oft meine sommerferien verbracht, dieser kleine ort wurde zu meine zweiten heimat.

von weitem und wahrscheinlich auch aus dem weltraum sieht man den riesigen rückstandsberg. denn hier wurde jahrzehntelang kalisalz aus der erde geholt. nach der wende war das vorkommen erschöpft bzw. die förderung zu teuer, seitdem fehlen hunderte arbeitsplätze. tourismus gibt es kaum, die jungen ziehen weg und die kleinstadt blutet aus. leerstand, vergreisung – hier hat man den strukturwandel nicht verkraftet. das ist sehr schade, denn es ist eine schöne stadt mit viel fachwerklicher altbausubstanz.

und viel wald und bergen, ideal zum wandern und so.

Tatort: Undercover Camping (1997) – Stoever & Brockmöller

Auch wenn ich dereinst Hässliches schrob: Die beiden waren doch große Klasse. Diesmal wurde ein Toter auf dem Campingplatz gefunden und Stoever unterbricht seinen Englischkurs um Undercover als Dauercamper zu ermitteln (Tarnname: Paul R. Gründel). Dabei dringt er tief in die Abgründe des menschlichen Spießbürgertums vor, passt sich aber schnell an und verzaubert die richtigen Camper und den Zuschauer mit seinem unverwechselbaren Charme und seinem Geklimper.

Höhepunkt dieser Folge, als Stoever der besoffenen Sofie die Welt erklärt:

Was man sich wünscht, das kriegt man nicht. Und die Zeit vergeht immer schneller. Sofie – was ist das Leben? Das Leben ist ein Caravan ohne Räder. Wir sind alle Dauercamper in der Prärie unserer Träume.

Dazu dieser typische selbstzweifelnde Manfred Krug-Blick – unbezahlbar.

LINK +++ Erstausstrahlung: 02.11.1997

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