Farbe: grau

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City on Fire

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ein roman über das new york 1977, so viele figuren, dass es ein lesezeichen braucht mit den namen und verhältnissen zueinander – zumindest in dem ziegelstein der gebundenen ausgabe. es geht um punk, sehnsucht, musik, drogen, feuerwerk, liebe, terrorismus, spekulationen, betrug – also die ganz großen themen. es passiert ein mord, die ermittlungen führen figuren zusammen, trieben sie auseinander. die lebenslinien der protagonisten werden erzählt, eine reportage geschrieben, punkzines ergänzen das buch.

auf über 1.000 seiten schafft der autor eine spannende und spannend erzählte geschichte. vermittelt einen plastischen eindruck vom new york und der damaligen neuen punkszene, von den ängsten und sehnsüchten von künstlern, schwulen, reichen erben (einer ist all‘ das gleichzeitig). und hey, das punkmädchen hat eine nikkormat.

trotz allem bleibt es ein konstrukt, künstlich, zu vorhersehbar. es mag an der übersetzung liegen, das kann ich nicht beurteilen. aber ein buch, das viel sagt, aber am ende nichts zu sagen hat? ich bin ein freund großer amerikanischer erzähler, boyle, auster, franzen und natürlich wallace. der reiht sich scheinbar ein und bleibt doch meilenweit zurück

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Vom Frühling und von der Einsamkeit. Reportagen aus den Gerichten.

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reportagen aus den gerichten der zwanziger jahre. von einer frau geschrieben, eine der ersten. ich schätze, dass heutige reportagen die gleich themen hätten: streit, diebstahl, körperverletzung, mord aus niederen beweggründen. dazu erstaunlich viel zum §218 – wir sind da – hundert jahre später – nicht viel weiter gekommen, trotz aller diskussionen. und so lesen wir fasziniert von heiratsschwindlern, betrug und verbrechen und es könnte so auch in der zeitung von heute stehen. ein bisschen politik und nazis am ende, der prozeß um Veit Harlan nach kriegsende.

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Eurotrash (Hörbuch)

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merkwürdige, wahrscheinlich autobiographische story über einen sohn, der mit seiner mutter eine (letzte?) reise unternimmt. mit sehr vielen bezügen zu faserland, der bundesdeutschen geschichte, der eigenen familiengeschichte: dem stets präsenten vater, der alkoholsucht der mutter. wir wissen nicht, was real oder erfunden ist, das buch ist stellenweise sehr intim, sogar witzig teilweise. das hörbuch liest er selbst, mit einer sehr lakonischen bis nervigen stimme. oft fragen wir uns, was will er denn jetzt, angeben? schaut her, was ich für ein tolles leben hatte, wieviele berühmte namen ich unterbringen kann, was ich so erlebt habe. es gibt kein reflektieren, nur eine hektische aneinanderreihung von gedanken, anekdoten, gesprächen. das ist unterhaltsam und die anspielungen und geschichten sind spannend, doch wir erfahren nicht, was er uns damit sagen will.

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Berliner Bürger*Stuben. Palimpseste und Geschichten

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@anngros das sehr persönliche buch sammelt kleine geschichte(n) aus der großen stadt. der anwalt des vermieters klingelt und will die mieterin aus der bude im prenzlauer berg rauswerfen. es wird david foster wallace live aufgeführt (dabei schlafen einige ein). es werden träume aufgeschrieben und kleine erlebnisse in der stadt. der fokus liegt auf den menschen, oder – wie bei den gingkobäumen in der HU – auf kleinen details, an denen man sonst achtlos vorüber geht. lesen sie dieses buch, damit ich hier nicht alles nacherzählen muss. danke.

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Der schwarze Garten

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spannendes buch über deutsch-polnische geschichte in oberschlesien. um den bergmännern wohnungen zu bieten wurden um 1900 siedlungen nach damals modernen standards errichtet. bei krakau finden wir Gieschewald/Giszowiec und Nikischschacht/Nikiszowiec, um die es in dem buch geht. genauer geht es um seine bewohner und die bewegte geschichte. oberschlesien gehörte mal zu deutschland, mal zu polen, wurde besetzt und wieder befreit. also eine europäische geschichte und voller leid und ungerechtigkeit, voller hass, aber auch liebe und hoffnung. die autorin hat in archiven gewühlt, interviews geführt und kann so die lebenslinien zeichnen, das große im kleinen erzählen. schön geschrieben und übersetzt und mit vielen bildern. PS: der autor war im september 2019 vor ort in Nikiszowiec und hat bilder mitgebracht:

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Das schwarze Königreich

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das buch erzählt die geschichte von jakub shapiro weiter, den wir in Der Boxer begleitet haben. es erinnern sich sein sohn david und seine geliebte ryfka. es geht um das besetzte warschau, die gräuel der deutschen und polen an den juden im ghetto. die schrittweise entmenschlichung. aber auch, wie die menschen mit den maßnahmen und situationen zurecht gekommen sind. jakub wird immer mehr zum schatten, aus dem kurz sein sohn heraustritt. ach, lest es selbst, es lohnt sich.

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Die jungen Jahre

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teils autobiographisch: der junge mann fürchtet rassenunruhen in seinem heimatland südafrika und geht nach london, wo er hofft, gedichte schreiben zu können. um sich seinen lebensunterhalt zu verdienen, wird er programmierer. dazwischen immer wieder frauengeschichten. und vor allem reflektionen über literatur, leben, familie, scheitern, anerkennung. fehlendes selbstvertrauen bis hin zu selbsthass ziehen sich durch das buch. seinem ziel, unabhängiger künstler zu sein und gedichte schreiben zu können, kommt er nicht näher. es ist ein antrengendes buch, die handlung kommt immer mal wieder in fahrt, steht aber nicht im mittelpunkt. auch die zeitgenössischen beschreibungen von arbeitswelt, politik und gesellschaft, scheint nur ab und zu durch. ein großteil der geschichte sind die überlegungen des jungen mannes, eher ein psychogramm.

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Arbeit und Struktur (Hörbuch)

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dieses buch ist die buchform des blogs wolfgang-herrndorf.de, ich habe es als hörbuch gehört, vorgelesen von august diehl. herrndorf beschreibt das leben mit seinem 2010 diagnostizierten hirntumor. bis zu seinem tod verfasst er tagebucheinträge, die von banal bis literarisch anspruchsvoll reichen und in ihrer gesamtheit einzigartig sind. herrndorf beschreibt das leben in berlin und wir finden ganz viel wieder, die kneipen, die stimmung rund um den rosenthaler. er beschäftigt sich intensiv mit therapien und medikamenten, dass einem schwindelig wird. es geht um überlebenschancen und wahrscheinlichkeiten, chemo und operationen. aber auch banale ereignisse, wie das gemeinsame fußballspiel oder die kneipe. und diese mischung aus alltäglichem und medizinisch anspuchsvollem, gemischt mit ängsten, depression und enthusiasmus macht das buch einzigartig. und beklemmend und traurig. zugegeben, tschick war toll, aber das hier ist viel näher am menschen, viel ehrlicher, offener.

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Eins, zwei… Eins, zwei, drei, vier… Die Achtziger (Hörbuch)

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rasante geschichte über einen jungen musiker und seine freunde, die in köln in den achtzigern versuchen fuß zu fassen. aber doch immer wieder vom leben auf die fresse kriegen. musik, alkohol, drogen, sex, man hat es nicht einfach. irgendwann der plattenvertrag, aber vergeigt. dazwischen sex und exzess. der tote freund, die freunde, die sich abwenden. sex auf der weihnachtsfeier. alkohol, schwerer kopf am nächsten morgen. interessanterweise dazwischen abhandlungen über die damaligen bands, ihre einflüsse, ihre bedeutung. achso, sex auch. und drogen, die harten auch. das hörbuch glänzt durch zarte versuche, die stimmung mit musik zu untermalen, leider sehr zurückhaltend. auch spannend, dass man sich immer stammkneipen traf – handys gab es bekanntlich nicht. manchmal kommt das wehmütige durch, das opa-erzählt-vom-kriege-gefühl. vetten erzählt unironisch über eine hoch ironische zeit, ganz anders als sven regener, aber nicht uninteressant.

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Artemis (Hörbuch)

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andy weirs marsianer habe ich vor ein paar jahren verschlungen, das neue buch nun also als hörbuch. die menschheit hat es geschafft, eine kolonie auf dem mars zu errichten, die unterstützungsflüge starten von kenia aus (nähe zum äquator!). die protagnoistin ist auf dem mond aufgewachsen und wäre gern in der EVA-gilde, also jene, die ausseneinsätze absolvieren. nur leider schafft sie es nicht und muss also weiterhin transportaufträge mit kleinen schmuggeleien machen. viele geld wird ihrversprochen für einen sabotageakt, der später die ganze kolonie gefährdet. das buch ist strikt linear erzählt, es gibt zwar rückblenden und allerlei erklärungen, aber es geht nur vorwärts. es ist ein wirtschaftskrimi mit allerlei wissenschaft. denn wie im marsianer liegt in den physikalischen und astromischen erklärungen das herz des buchs. schweißen in der schwerelosigkeit? kein ding, gib einfach mehr sauerstoff dazu. die produktion von aluminium verbraucht zwar 80% unserer energie, aber als nebenprodukt erhalten wir den sauerstoff für die kolonie gratis. und so geht es weiter. es ist schauerlich präzise – ich habe keine rechte ahnung davon, aber es klingt plausibel – oder zumindest gut erklärt.

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Der Osten

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wir reisen mit stasiuk in den osten seiner kindheit. geschickt verwebt er seine erfahrungen: 1960 geboren, aufgewachsen im sozialistischen polen der sechziger und siebziger jahre. in seiner biographie lesen wir von grausamer armeezeit und gefängnis, davon ist im vorligenden band nichts zu lesen. wohl aber von seinem verhältnis zum mangel in den läden, der allgemeinen lethargie im sozialismus, dem grau der städte. er erinnert sich daran in jenen momenten, da er im fernen osten in der wüste gobi umgeben ist von nichts. denn das ist das eigentliche thema des buchs, die unendliche weite, leere und trostlosigkeit, je weiter er nach osten reist. dabei fängt er im osten polens an, beobachtet seine landsleute bei der religiösität kurz vor ostern, verachtet ihren konsum und ihre scheinheiligkeit. später gehts nach rußland, das er mit dem sowjetunion-bild seiner kindheit vergleicht und doch nur immer gemeinsamkeiten findet. immer weiter geht es, sibirien, mongolei, china. in die endlose weite (ich beginne mich zu wiederholen). wir stehen mit ihm auf einem hügel in der steppe und lauschen auf die stille. wir krabbeln in eine jurte und erinnern uns an die einfachheit des lebens vor dem mauerfall. es sind die parallelen, die so faszinieren. und in der ferne glänzt china, das langsam die welt erobert, es wird vor allem in jenen kargen regionen sichtbar. und hier wagen wir einen blick in die zukunft, china wird sich uns von osten nähern, wir sollten langsam anfangen, uns damit zu beschäftigen.

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WIZZYWIG

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eine geschichte um einen fiktiven hacker in den siebzigern/achtzigern. voll mit realen begebenheiten ergibt sich ein stimmiges bild der anfänge des hackens und phreakens. am anfang stand das kostenlose telefonieren mittels simpler pfeiftöne. das wurde professionalisiert und man baute sich blue boxen, an dieser stelle spielen auch apple-gründer Steve Jobs und Steve Wozniak eine reale rolle. weiter gehts mit dem hacken in die datenbank der telefongesellschaft und das manipulieren von abrechnungsdaten. natürlich kann ein comic nur an der oberfläche der geschichte kratzen, aber der autor schafft einen spannungsbogen bis zum schluss, indem er bspw meinungen aussenstehnder einholt („vox pop“), die story vom befreundeten radiomoderator erzählen lässt und teilweise recht nerdig ins detail geht. ich lese in anderen rezensionen von kritik am zeichenstiel („Der Seitenaufbau erfolgt nahezu immer im gleichen Bildraster, die Zeichnungen wirken statisch.„, Michael Brake in taz, 1.6.2014) – mir hats gefallen und text und bilder passen stimmig.
H I N W E I S in diesem zusammenhang empfehle ich einmal mehr das wunderbare hörspiel Captain Crunch von Evrim Sen und Denis Moschitto, WDR 2010

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Wiener Straße (Hörbuch)

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nun also noch ein buch über das kreuzberg der 80er. frank lehmann räumt die stühle runter und putzt, karl schmidt kann die kaffeemaschine bedienen und erwin ist neben sich und bekommt einen bauch. sie sind alle künstler in der wiener straße, im café einfalt und in der arschartgallerie. ist schon offen? es sind vor allem die dialoge, die das buch antreibt, das lebensgefühl in der mauerstadt, deren politische realität ist nur randnotiz. man lebt vor allem, macht kunst und redet. und es sind die absurden figuren, so liebevoll und arschig sie auch gezeichnet werden, so viel wahres und reales steckt in ihnen.

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Sterben (Min kamp #1)

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aus skandinavien (hier: norwegen) müssen also nicht nur düstere krimithriller kommen. vorliegendes buch ist eine sechshundertseitige reise in die vergangenheit des autors. immer aus heutiger sicht erzählt mit zahlreichen zeitsprüngen. es geht um seinen vater, der sich verändert hat, um ihr verhältnis im innen und im außen, es ist kompliziert. der tod des vaters kündigt sich früh an. situationen, kindheitserinnerungen, träume und wünsche und ängste werden beschrieben und analysiert. manchmal erschütternd, tragisch, oft auch komisch, eher lakonisch. tief und sprachlich anspruchsvoll geschrieben, sodass ich die anderen bücher dieses autobiographischen projekts auch lesen muss.

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Berlin ist zu groß für Berlin

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wunderbares buch mit vielen photos und abbildungen. der autor streift durch die stadt und erzählt geschichte und geschichten. natürlich ist er an manchen ecken unglücklich über vergangene bausünden und abgerissenes. er erzählt vom teufelsberg, fährt mit dem 104er von westend nach stralau, spaziert mit einem berufsspaziergänger, berichtet von einem untergetauchten im zweiten weltkrieg, von tempelhof, der invalidenstraße. und vor allem, macht er lust, wieder auf eigene erkundungen durch die stadt zu streifen, abseits der wege, die man immer geht. vorwerfen kann man dem buch lediglich, dass es nicht viel umfangreicher ist.