Sammlung von vier Texten von Wallace, gelesen von Lars Eidinger, Christian Ulmen, David Nathan und Moritz von Uslar. Während Trillaphon einer der ersten Texte ist, ist This is Water einer der letzten. Während Trillaphon eine introperspektivische Sicht nach innen ist, sind der rote Sohn und Hummer Reportagen und This is Water eine Rede. Also schöner Querschnitt. Aber auch ein bisschen enttäuschend, weil es nicht die stärksten Texte sind die Romane zum Thema in meinen Augen mehr zu bieten gehabt hätten.
Autor: David Foster Wallace
David Foster Wallace:
Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache (Hörbuch)
erschienen: 1984 • ISBN: B00TXND0ZW • Farbe: weißeine frühe kurzgeschichte mit jähem ende. über depressionen und die zwischenwelten nach der einnahme der harten medikamente. leider sehr kurz, aber stark und plastisch erzählt.
David Foster Wallace:
Der bleiche König – 76%
erschienen: 2011 • ISBN: 978-3462045567 • Farbe: weißnach einigen verwirrten kapiteln nun das erste zentrale, längere stück. die geschichte eines ich-erzählers – ist es wallace selbst? der sich windet, sich rechtfertigt. die vergangenheit deutet und sie dreht. seine geschichte erzählt, seine jugend- und studienzeit, seine drogenexperimente, die ganze dramatik einer verlorenen generation, unter dem eindruck von vietnam und watergate der ideale und gefühle beraubt vor sich hindöst und erfahrungen macht, ohne voran zu kommen. so zumindest der vorwurf der eltern.
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auch hier finden wir wieder das motiv des früh gestorbenen übervaters. während es im unendlichen spaß der gründer und leiter der tennisakademie war, der seinen kopf in die mikrowelle steckte, ist es im bleichen könig der korrekte, distanzierte, disziplinierte sachbearbeitervater, der – enttäuscht von frau und sohn – letztendlich in der überfüllten ubahn zu tode kommt. wir lernen einen sohn kennen, der erst spät – zu spät – in die gedanken- und gefühlswelt seines vaters eindringt oder einzudringen versucht. der kaputtniksohn wird letztendlich auch sachbearbeiter, wenn auch nur auf zeit. hier offenbaren sich motive wie bei kafka.
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„Der Schlüssel, der der Bürokratie vorausgeht, ist die Fähigkeit, Langeweile auszuhalten. Effizient in einem Milieu zu funktionieren, das alles Vitale und Menschliche ausschließt. Gewissermaßen ohne Luft zu atmen. Der Schlüssel ist die Fähigkeit, ob angeboren oder erworben, die andere Seite der Routine zu finden, des Nichtigen, des Bedeutungslosen, des Repetitiven, des sinnlos Komplexen. In einem Wort, unlangweilbar zu sein.“# klar geht es um die steuerbehörde und der ihr innewohnenden langweiligen tätigkeiten: abgestumpfte mitarbeiter, endlose gänge, eine verwirrende architektur und kafkaeske workflows. aber vor allem beweist sich wallace einmal mehr eine sehr scharfsinnige beobachtungsgabe. jeder protagonist hat irgend einen tick, einen zwang, eine vergangenheit, eine einstellung. hier werden keine romanfiguren beschrieben, hier greifen wir ganz tief in die küchenpsychologische trickkiste. und diesmal sind es keine drogen, sondern das leben an sich, was den handelnden übel mitgespielt hat. # ich bin gerade bei mrs rand und ihrer erzählung über ihre zeit in der klapper und es ist endlos und verwirrend und nicht schön, eher anstrengend. aber in großer literatur geht es eher selten um mich…
David Foster Wallace:
Der bleiche König – 28%
erschienen: 2011 • ISBN: 978-3462045567 • Farbe: weiß
David Foster Wallace:
Am Beispiel des Hummers (Hörbuch)
erschienen: 2005 • ISBN: 978-3941168442 • Farbe: rotLeider liest Christian Ulmen den Wallace nicht ganz so stilsicher vor wie Dietmar Bär. etwas zu ironisch-distanziert trägt er vor. Worum gehts? Eine Reportage über das alljährliche Maine Lobster Festival. Es geht um den Hummer, das Festival und vor allem um uns Menschen. Einmal mehr beweist sich Wallace als kluger Beobachter menschlichen Zusammenlebens und berichtet in tollen Sätzen davon.
[xrr rating=6/7]
David Foster Wallace:
Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (Hörbuch)
erschienen: 1997 • ISBN: 978-3867176507 • Farbe: blau
David Foster Wallace:
Das hier ist Wasser / This is Water: Anstiftung zum Denken
erschienen: 2012 • ISBN: 978-3462044188 • Farbe: schwarz, weiß
David Foster Wallace:
Kleines Mädchen mit komischen Haaren
erschienen: 1989 • ISBN: 978-3499231025 • Farbe: hellblau
„Gropes Äußerungen gingen Gimlet zum Teil erheblich auf die Eier, sodass sie Mr. Wonderful bat, Grope ein Weh zu tun. Und so geschah es dann auch. Mr. Wonderful trat Grope voll in den Ranzen, er trug geeignetes Schuhwerk dazu […]“john billy ein kneipengespräch, erzählt wird die geschichte eines kleinstadttyps, der unerwartet auf öl stößt, die dorfschönheit bekommt und schließlich von einem neider richtig fertig gemacht wird. zum kneipengespräch stößt irgendwann die dorfschönheit hinzu, was ganz vorzüglich konstruiert ist, man kann es nicht anders sagen. mein auftritt eine schauspielerin muss zu david letterman, ihr mann bereitet sie dafür tagelang vor, meint es gut, macht sie aber nur fertig. dazwischen immer wieder xanax-konsum. am ende, in der show, ist alles ganz anders. düsterer blick in die maschinerie der medien, die – einem scheinriesen gleich – nur in den köpfen der protagonisten und zuschauer existiert. von ganz nah ist david letterman auch nur am schwitzen. lyndon die geschichte des lyndon baines johnson (LBJ) aus sicht eines (fiktiven) mitarbeiters, der sich hingebungsvoll und arbeitswütig bis zum bitteren ende um seinen chef kümmert, der seine homosexualität verstecken muss. eindrucksvoll, immer wieder mit offiziellen aussagen von LBJ, mit kennedy-attentat vietnam und 68er, eine zeitreise durch die geschichte der usa. [xrr rating=7/7]
David Foster Wallace:
In alter Vertrautheit
erschienen: 2006 • ISBN: 978-3462037272 • Farbe: weiß…eine Auswahl von Short Storys aus dem 2005 auf Englisch erschienenen „Oblivion“. Ganz unterschiedliche Geschichten, weiter unten kurze inhaltliche Zusammenfassungen. Gemein ist ihnen, dass sie immer wieder die Gedankenwelt eines Erzählenden und/oder Handelnden nach außen kehren. Und zwar auf eine unnachgiebige, verzerrende, groteske Art und Weise. Viel komprimierter und destillierter als in den Romanen.
Mr. Squishy
ätzendes stück über den leiter einer produkttestgruppe, in dem viel marketing und statistik verwurstet wird, in dem der leiter seinen eigenen (existenziellen) gedanken nachhängt, sich anzweifelt und schließlich über effektive methoden nachdenkt, seinen auftraggebern mit vergifteten produkten maximal zu schaden. währenddessen klettert einer am hochhaus empor.
Die Seele ist kein Hammerwerk
absurd komisches stück über einen schüler, der bei seinen komplexen tagträumereien nicht den amoklauf des lehrers mitbekommt. er denkt tatsächlich in comic strip-artigen und aufwendigen handlungssträngen.
Inkarnationen gebrannter Kinder
verstörendes schnipsel über einen tragischen haushaltsunfall.
Noch ein Pionier
vertrackte erzählung von einem wunderkind in einem naturvolkdorf, eingebettet in eine nacherzählende rahmenhandlung. im grunde eine parabel auf den irrsinn der zivilisation und die macht des glaubens.
Neon in alter Vertrautheit
die stärkste geschichte, ein selbst ernannter heuchler ist in therapie und durchschaut seinen therapeuten. versucht, seine sämtlichen gedanken, metaebenden und womöglichen reaktionen des gegenübers zu erfassen und wieder zu geben. scheitert dabei an sich selbst und begeht schließlich selbstmord, erzählt und reflektiert auch dies ausführlich. am ende tritt mr. wallace selbst in die geschichte ein stellt einiges klar. verwirrend, aber oft nachvollziehbar.
[xrr rating=10/10]
siehe auch: Besprechung bei Mythopoeia (2009)

David Foster Wallace:
Unendlicher Spaß
erschienen: 1996 • ISBN: 978-3499249570 • Farbe: weiß
„Diese Neigung zu verwickelten Abstraktionen nennt sich auch »Marihuana-Denken«, und apropos, das massivem Bob-Hope-Konsum folgende sogenannte Amotivationssyndrom ist eine Fehlbezeichnung, denn Kiffer verlieren nicht das Interesse am praktischen Funktionieren, sondern marihuanadenken sich in Labyrinthe der reflexiven Abstraktion hinein, die die schiere Möglichkeit praktischen Funktionierens infrage stellen, und die geistige Arbeit, hinauszufinden, beansprucht alle verfügbare Aufmerksamkeit und lässt den Bob-Hope-Raucher daher scheinbar lethargisch, apathisch und amotiviert dasitzen, während er sich in Wirklichkeit einen Ausweg aus dem Labyrinth erkämpft. Die den Cannabiskonsum begleitende überwältigende Naschsucht (der sogenannte Kiffhunger) könnte übrigens ein natürlicher Verteidigungsmechanismus gegen diesen Verlust des praktischen Funktionierens sein, denn es gibt ja wohl kein praktischeres Funktionieren als die Nahrungssuche.“ (Endnote (a) zur Fussnote 269)Dabei beschreibt er neben der eigentlichen Sucht die Auswirkungen auf Nahestehende und vor allem die Gefühle und Auswirkungen beim Aufhören. Oft sitzen wir in Sitzungen der Anonymen Alkoholiker (AA – engl. Alcoholics Anonymous) und hören zu. Leiden mit. Auf eine so authentische Art und Weise, die ich selten zwischen zwei Buchdeckeln fand. Und obwohl es um viele gescheiterte Existenzen geht, oft um den Bodensatz der Gesellschaft, führen diese selbstbestimmte Leben, sogar Poor Tony Kraus, die wohl tragischste Gestalt der jüngeren Literaturgeschichte. Ich könnte noch viel mehr schreiben und vielleicht kommt auch noch was, man wird sehen. Muss es wohl noch mal lesen. [xrr rating=10/10]
David Foster Wallace:
Unendlicher Spaß [824/1545]
erschienen: 1996 • ISBN: 978-3499249570 • Farbe: weiß
- auf S.199 ist eine E-Mail abgedruckt, ein versicherter beschreibt einen unfall mit einem flaschenzug. diese ist nahezu identisch mit der von Manfred Krug rezitierten story auf dem schon angejährten Live-Mitschnitt ‚Jazz Lyrik Prosa‘. hat wallace hier geklaut? oder bietet sich diese absurdität einfach an? nein, hier steht, dass es auf Jean Charles zurückgeht und sich wallace und krug nur bedienten.
- auf S.405 ist von der ringelpiezeria die rede, das gemeinschaftliche essen nach einem anstrengenden tennis-turnier – eine großartige neuschöpfung von übersetzer ulrich blumenbach.
- weil es keine fernsehwerbung mehr gibt, mussten die konzerne sich andere werbeformen einfallen lassen, es wurde der gregorianische kalender abgeschafft und die jahresbezeichnungen gesponsert ((Jahr des Whoppers, …des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs, …der Dove-Probepackung, …des Perdue-Wunderhuhns, … der mäuschenstillen Maytag-Spülmaschine, …des Yushityu 2007 Mimetische-Auflösungs-Patronensicht-Hauptplatine-Leicht-Zu-Installieren Upgrades Für Infernatron/InterLace TP-Systeme Für Heim, Büro oder Unterwegs (sic!), …der Milchprodukte aus dem Herzen Amerikas, … der Inkontinenz-Unterwäsche, …des Glad-Müllsacks)) – auf S.530 erfahren wir, dass die freiheitsstatue in new new york city (sic!) jedes jahr ein anderes produkt in der hand hält.
„Der Schlüssel zur erfolgreichen Verwaltung einer Juniorentennis-Academy der Spitzenklasse liegt in der Kultivierung einer Art inversem Buddhismus, einem Dauerzustand der Totalen Sorge.“ (S.653)
[Eine der Erkenntnisse, die man gewinnt, wenn man ein wenig Zeit in einer Entzugsklinik verbringt:] „Dass ‚Hinnehmen‘ meistens vor allem eine Frage der Müdigkeit ist“ (S.295)
David Foster Wallace:
Unendlicher Spaß [676/1545]
erschienen: 1996 • ISBN: 978-3499249570 • Farbe: weiß
Der Schiedsrichter flüstert Aufschlag Bitte. Wir beginnen eine Art Spiel. Aber irgendwie bleibt alles spekulativ. Selbst das »wir« bleibt Theorie: Durch die Umstände der Partie bekomme ich meinen fernen Gegner nie richtig zu sehen.[JAHR DER INKONTINENZ-UNTERWÄSCHE]: Kate Gompert, 21, liegt nach einem erneuten Suizidversuch im Krankenhaus, es folgt die Beschreibung einer Visite.
Ich wollte mir nicht wehtun. Ich wollte mich umbringen. Das ist doch wohl ein Unterschied.Und die Geschichte von Gerhardt Schtitt („Cheftrainer und sportlicher Direktor an der ETA“), seine Gespräche mit Mario.
danach habe ich aufgegeben, den inhalt nachzuerzählen, lese lieber. entschuldigt also, wenn es so ruhig um mich ist…
David Foster Wallace:
Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich
erschienen: 1997 • ISBN: 3462033883 • Farbe: blau
David Foster Wallace:
Der Besen im System
erschienen: 1987 • ISBN: 3499237598 • Farbe: gelb
[11%] jetzt ist auch noch die urgroßmutter verschwunden und lenore kommt zu spät zur arbeit. interessant und ungewöhnlich die beschreibung der stadt, deren grundriss wie eine schauspielerin aussieht und die piloten ablenkt. [22%] eine wüste in ohio ist geplant und mattel baut auch richtige autos, beim psychiater gibt es fahrbare stühle für die patienten – es wird teilweise echt absurd. dazu die geschichte um lenore und ihrer verschwundene großmutter. sie ist mit ihrem chef rick zusammen, der auch eine psychomacke hat. gerade hat der fette mann seine eigene weltsicht erklärt und seinen plan dargelegt, immer fetter zu werden. dieses buch ist großartig. nicht nur die geschichte und kleinen geschichten. auch die wechselnden erzählformen, der absolut flüssige stil und sprachwitz, der auch in der übersetzung von Marcus Ingendaay wenig eingebüßt hat. [61%] viel zeit ist noch nicht vergangen im buch. die urgroßmutter bleibt verschwunden. ein paar hinweise gibt es, aber das ist eigentlich gar nicht wichtig. wir taumeln mit lenore und rick durch die geschichte und erfahren dabei allerlei kurioses: über ihre familie, über ihren bruder la-vache, den antichristen und wang-dang. nacherzählen kann man das eigentlich alles gar nicht. streckenweise wird es echt absurd und dann wieder philosophisch, etwa wenn der kiffende bruder wittgenstein erläutert oder vlad der pfähler, ein vogel, plötzlich plappert. selten habe ich so schnell ein buch verschlungen, selten habe ich so viel gelacht beim lesen. und öfters blättert man zurück, um auch ja kein detail und die nächste unwahrscheinliche querverbindung zu verpassen. [75%] aus der SPON-kritik von 2004:
„Darin erinnert Foster Wallaces Schilderung an das modernistische Meisterwerk „Ulysses“ […] Wallaces „Besen“ ist ein Produkt der TV- und Kabel-Fernseh-Ära: diffus, bunt, intensiv, eine Orgie des Zappings.“und da muss man jetzt ein bisschen aufpassen, immerhin wurde das buch 1987 geschrieben, die deutsche übersetzung ist fast 20 jahre später erst erschienen. trotzdem finde ich es zeitlos und ungefähr auf der ebene von couplands generation x. ein modebuch also für die MTV-generation, wie der spiegel das will? ich weiß nicht, dafür ist es zu intelligent und witzig und passt auch heute noch. die technischen details der telefonanlage sind irrelevant, aber da ist man schnell drüber weg. und es wird auch nur telefoniert, von internet ist keine rede. aber darum geht es gar nicht. ich glaube, der psychologe ist an allem schuld. er macht die beziehung der beiden kaputt, mischt sich ein und hilft kein bisschen weiter. seine methoden sind fast schon genial. ob das wirklich so ist? ich war noch nie beim psycholgen und ach der lektüre verspüre ich auch keinen großen bedarf. jedenfalls geht es nun auf die letzten seiten zu, es bleibt spannend… [100%] tja und irgendwann ist dann auch mal schluß mit diesem buch. sehr abrupt und unerwartet und der leser bleibt verstört zurück. klar, es gibt einen großen showdown und auch die story klärt sich ein bisschen oder wird zumindest angedeutet. eine auflösung, eine erklärung muss man sich schon selber zusammen reimen. das ist hart und nicht unbedingt im sinne des lesers. ein romanfragment eher, so ähnlich wie bei franziska linkerhand von brigitte reimann, das ich irgendwann auch mal besprechen muss… aber zurück zum wallace: sollte man es nun gelesen haben? ich gebe zu, meine ersten einträge waren da optimistischer und euphorischer. nun, ein paar tage, nachdem ich es ausgelesen habe, bin ich da schon skeptischer. denn an vielen stellen fühlt man sich als leser unpassend. und man blättert umher und sucht den roten faden. aber vielleicht ist das auch absicht. einige sachen sind auch irgendwie unnötig und verwirren zusätzlich. vielleicht liegt es auch am für bücher biblischen alter von 25 Jahren, eventuell hat es sich schon überlebt. aber empfehlen würde ich es trotzdem. beim nächsten mal dann aber im englischen original. [xrr rating=8/10]