Kritische Betrachtung der Gruppe Rammstein mit vielen Fussnoten inside – oder: Der Arschloch-Text ohne Aussage

Als ich gestern seit langem mal wieder ein Video der Gruppe Rammstein im Fernsehen sah, da dachte ich so vor mich hin: Du fandest die mal toll, warst ein richtiger Fan, einer von jenen, die exstasisch auf die Bühne starren und elektrisiert mitgrölen. Da lief jedenfalls ein Livekonzert, aufgenommen in einem mittelalterlichen Theater im französischen Nimes:

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Und während ich vor mich hindachte und mir wieder das Konzert einfiel, auf dem ich selber war (wir wurden von unseren Eltern hingefahren und auch wieder abgeholt – muss so zehn Jahre her sein)*, da erkannte ich plötzlich die ganze Tragweite und die Ursachen für den Erfolg von Rammstein.

Denn man muss wissen, dass der Autor nun, nach zehn Jahren, eine weitaus distanzierte und kritische Denkhaltung eingenommen hat. Daran erkennt man den aufmerksamen ZEIT-Leser**.

Die Gruppe Rammstein vertritt jedenfalls eine durchaus unpolitische Haltung. Die Texte sind einfach , die Musik durchdacht, handwerklich perfekt, aber nicht unbedingt genial. Es wird mit Klischees gewürfelt, zitiert und angespielt. Es ist für jeden was dabei. Sogar für Leute, die die Texte nicht verstehen. Kommerziell erfolgreich, aber immer noch provozierend genug. Gerade recht für Jugendliche, um zu protestieren. Jeder nimmt sich das raus, was er in Rammstein sehen will.


*) Es war damals ein Konzert der Sehnsucht-Tour in Dresden, das muss so 1998 gewesen sein. Ich trug da eine Jeansjacke, auf der ich mit Edding das Rammstein-Logo drauf geschrieben hatte. Ohne Scheiß!

**) Tatsächlich habe ich ein fünfwöchiges Probeabo und lasse dies mein soziales Umfeld auch spüren. Da halte ich es ganz mit Harald Schmidt: “Ich lese die ZEIT nicht, ich lerne sie auswendig.”*** Und so muss sich der geneigte Freundeskreis meine durchaus kritischen Analysen und pointierten Betrachtungen eben anhören. Gegenrede dulde ich nicht, oder nur mit Quellennachweis (SZ, FAZ, Lufthansa-Bordmagazin, …)

***) An dieser Stelle Harald Schmidt zu zitieren ist sehr löblich und nur ein weiterer Beweis für meine Geisteshaltung, die durchaus manipulative und selbstkritische Ansätze aufweist, jedoch vor Autoritäten zurück schreckt.

tourist in der eigenen stadt – teil 1

vergangenes wochenende war sightseeing angesagt. die eltern waren da und wollten unter anderem auch berlin sehen. grund genug, mal wieder tourist in der eigenen stadt zu sein. wir haben viel gesehen und abends schmerzten die füße. so entstanden auch ein paar bilders, die ich euch nicht vorenthalten will:
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der besuch am ehemaligen palast der republik (oder was inzwischen davon übrig geblieben ist) ist fast schon obligatorisch. inzwischen sieht das ding aus wie die innenstadt von bagdad. zu allem überfluss wurde auch noch ein musikvideo gedreht vor dieser eindrucksvollen kulisse. mit roten fahnen und menschen in merkwürdigen outfits, die auf einem W50 gruselige lieder sangen.

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hallo berlin!

zwei meldungen, die richtig nerven diese woche: da ist einmal der waschbär in der tiefgarage und dann die verschusselte matheprüfung. während der arme bär ja wirklich nix dafür kann für dieses medienecho und einfach nur in seinem beneidenswerten tierischen dasein vor sich hin wäscht bärt (und mit ihm wohl millionen ratten und anderes getier – und nicht zu vergessen der fünf-euro-pro-stunde-finanzminister), während der bär also vor allem bär ist und eigentlich eine nullmeldung, ist die matheprüfung so typisch berlin! auf der einen seite sind ein haufen schüler, die – warum auch immer – nicht die fresse halten können und alles ausplaudern, wärt ihr mal stille gewesen, hätte keiner was gemerkt… dann sind da die profilierungssüchtigen eltern, die natürlich klagen müssen. ich kenne mich da nicht so aus, aber wie lange werden wohl die gerichte brauchen? zwei jahre? bis dahin versumpfen eure kinder ohne abschluss wohl in hartz. und dann gibts da noch den senat, der sich einen scheiß um die belange der schüler schert und mal kurzerhand die prüfung für ALLE wiederholen will (in der größenordnung einer mittleren kleinstadt, so ca. 30 tausend schüler). das bindet ungemein ressourcen, die dann wieder woanders fehlen. ey, könnt ihr euch nicht mal einigen? erst verschlampt ihr was und dann müssen die anderen den kopf hinhalten.

boahr, das musste jetzt mal sein. sorry für den tonfall. aber manchmal kotzt mich die mischung aus unprofessionalität, starrsinn und inkompetenz richtig an. am besten ihr lasst den waschbären zur prüfung antreten!

The Hitchhiker’s Guide to the Strike

die bvg bereitet sich intensiv auf die zeit nach dem streik vor, wie aus einem uns vorligenden internen papier hervorgeht. darin heißt es unter anderem, dass eine große relaunch-kampagne geplant ist. denn die autoren gehen davon aus, dass nach dem streikende keiner mehr die drei buchstaben kennt und die farbkombination blau-gelb mit einer drittklassigen partei assoziiert. auszüge aus dem papier:

[…]

es wird von eltern berichtet, die ihren kindern mit tränen in den augen von sonnenblumengelben u-bahnen erzählen. liebevoll motzen sich migrantenkinder mit dem satz an: “MIT DEM FAHRRAD NICH IN™ ERSTEN WAGN™!!!” (vgl. dazu KRÖMER, Kurt et al.). die unfreiwilligen moabiter basteln straßenbahnen aus pappe in originalgröße. windige geschäftsleute bieten original berliner bus-hintergrundgeräusche auf cd an, dabei kommt raus, dass die aufnahmen in tübingen entstanden sind. hertha trat beim letzten heimspiel in bvg-uniformen an. und das technikmuseum in kreuzberg berichtet, dass mehrere historische nahverkehrszüge geklaut wurden. wowereit, einst lieblingsklaus der hauptstädter, bombt sich in die herzen zurück und verkündet heute den neuen slogan der berlin-kampagne der marketing-gesellschaft berlin partner: “be-vg berlin”. […]

[…]

wir gehen davon aus, dass sich die situation noch verstärken wird. unsere ersatzbusse und -fahrer aus bayern werden berlinweit boykottiert, alle fahren s-bahn und fahrrad. keiner erinnert sich mehr an die u-bahn und die schienen der trams wurden von ganoven abmontiert und nach china verkauft. derzeit schulen wir neues personal, dass die fahrgäste im falle eines ende des streiks einweisen wird. da viele vermutlich nicht mehr wissen, wie der öffentliche nahverkehr funktioniert. wir bereiten radiospots mit der ansage vor: “Bitte beachten Sie die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante”, an kindergärten werden essbare liniennetzpläne verteilt. […]

lou reed: ecstasy [april 2000]

gerade im archiv gewühlt und eine uralte rezension gefunden! damals geschrieben für die jugendseite einer regionalen tageszeitung… übernehme ich hier unverändert. man beachte den holprigen stil. urx. und man merkt, dass ich zu viel rolling stone las zu der zeit…

Der zynische Melancholiker gibt sich erneut die Ehre. Wer bei dem Titel an chemische Designerdrogen denkt, irrt gewaltig. Reed feiert in beinahe jedem Lied sehr exzessiv seine eigenen Depressionen und präsentiert uns seine Weltanschauung in sehr tiefgründigen Texten und mal laut, mal leise gespielten Gitarren. Bis kurz vor Schluss jongliert er geschickt mit Begriffen wie Zeit, verflossener Liebe, Tod und Ausweglosigkeit. Jeder der 14 Tracks ist eine kleine, aber tiefgehende Short Story. Wir erahnen eine erlebte Reise durch die düsteren Abgründe seiner Seele, in der Reed allerhand verlorenen Gestalten wie Crackheads und Intellektuellen, Engeln und Huren, Gefangenen und Aufsehern, verlorenen Kindern und gefräßigen Eltern begegnet.
Diese Odyssee findet ihren Höhepunkt irgendwo in den 18 Minuten von “Like a Possum”. In diesem schwerfälligen und gitarrenlastigen Inferno, das sehr an alte “Velvet Underground”-Schrammelgitarren erinnert, befindet sich Reed im seelischen Vakuum: total betäubt. Dieser Song sollte keine Minute länger dauern, denn in genau dem Moment, in dem die Rasierklinge kurz vor dem Handgelenk hängt, ist das Stück vorbei und das vielleicht hoffnungsvollste und letzte Lied beginnt. Die Erlösung. Wir schauen in den “Big Sky” und nichts kann uns mehr anhaben.
Ein typisches Lou Reed-Album eben, das uns zeigt, dass Reed mehr ist als sein “Perfect Day” auf dem Trainspotting-Soundtrack. Er ist nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein perfekter Songwriter. Seine ganze Karriere lang hat er sich seine musikalische Kraft und Energie erhalten und hat diese voll und ganz in dieses Album gesteckt.
Diese CD empfehle ich allen verzweifelten, einsamen Herzen, die genug von pseudo-depressiven “Bubble Gum”-Texten haben. Exctasy ist hart, melancholisch und bitter, aber auf keinen Fall mitleiderheuchelnd. Wer aber auf kurzlebige und tanzbare Musik steht, sollte lieber alle Finger davon lassen, und Hals über Kopf aus dem Plattenladen türmen: Das ist noch Rock™n™roll, Lärm, mit dem man zum Glück aus dieser kranken Welt immer noch ausbrechen kann.

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