betrunkener sand

“…man muß auch das Positive sehen, dachte er, immerhin ist bald Weihnachten, fiel ihm die Bemerkung von Karl aus der letzten Nacht ein, und er mußte lachen, obwohl er nicht genau wußte, warum.
“Warum lachst du?” fragte Chrissie. “Nur so”, sagte Frank.
“Aha”, sagte Chrissie und schaute wieder in ihre Tasse. “Ich dachte, bald ist Weihnachten”, sagte Frank. “Das hat Karl gestern gesagt.”
“Ach so. Sehr lustig!”
“Geht so”, sagte Frank, und dann schwiegen sie.
~ aus: Der kleine Bruder

in den letzten wochen nochmal die regener-bücher über karl schmidt, frank lehmann und die bande gehört. ein ganzes universum ist das, in etwa vergleichbar mit herr der ringe oder star wars. die bücher sind nicht ganz chronologisch über einen zeitraum von 15 jahren erschienen und unterscheiden sich literarisch und perspektivisch. alle beschreiben sie ein westdeutschland (bremen) und westberlin (kreuzberg) der 80er jahre, das inzwischen so fremd und weit entfernt ist wie das auenland.

es sind die dialoge, regener lässt die protagonisten allen sinn und unsinn faseln, ihre sicht auf die dinge. dazu die gedanken von frank (und später karl). das sind auch keine gewinner, es muss sich in der welt zurecht gefunden werden, später in der kunstwelt. es muss überlebt, aber vor allem gelebt werden. es wird viel getrunken und geraucht. dabei mäandern die themen zwischen oberflächlich und tiefen gedanken. und vor dem kneipenfenster passiert die große weltgeschichte.

“Moment, Moment” , sagte er. “Das gilt aber nur, wenn man die Zeit als etwas Absolutes nimmt. So geht das aber nicht. Meiner Meinung nach ist das wie mit einer Sanduhr. Der nüchterne Sand rinnt schneller raus als der betrunkene Sand, und deshalb ist mit betrunkenem Sand die Zeit langsamer.”
~ aus: Herr Lehmann

trivialitäten treffen große fragen. provinz trifft großstadt, die großen fragen werden behandelt im kleinen. vieles bleibt offen und zwischen den büchern ergeben sich ungereimtheiten, aber das ist nicht der punkt. vielmehr geht es um die dialoge, das sind – obwohl oft unzusammenhängend und wirr – die wahren stars der bücher.

und, natürlich sind die hörbücher besser, vom autor gelesen.

“Sicher werden Sie deine Adverbien zählen, deine Obwohls und die Länge deiner Ellipsen messen… Das ist ihr Job. Aber du, du schneiderst dir kein Abendkleid, du schreibst ein Buch! Kümmere dich nicht darum, was man über dich schreibt, ob gut oder schlecht. Meide die Orte, an denen über Bücher gesprochen wird. Höre auf niemanden. Wenn sich jemand über deine Schultern beugt, spring auf und schlag ihm ins Gesicht. Schwing keine Reden über deine Arbeit, es gibt nichts zu sagen. Frag dich nicht, warum und für wen du schreibst, sondern denke, dass jeder deiner Sätze der letzte sein könnte. Laß ihn an die Tür klopfen, er wird schon die Lust verlieren.”

~ Philippe Djian: Pas de deux (Lent dehors), 1991, S.435f ~

Lesefortschritt: Februar 2019

aktuelle Lektüren:

Tim Marshall: Die Macht der Geographie (2015)

Leonhard Horowski: Das Europa der Könige (2017)

Paul Mason: Postkapitalismus (2015)

Francis Fukuyama: Identity (2018)

Archiv:

Lesefortschritt: Januar 2019

In Zukunft werde ich notieren, wo ich bei einzelnen Büchern stecke, da ich immer alles gleichzeitig lesen muss.

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex (2015)

Leonhard Horowski: Das Europa der Könige (2017)

Paul Mason: Postkapitalismus (2015)