Wenn Indien cancelt, hamstern die Polen bei Lidl

Alles im Eimer - September 2008 in der Hala Targowa in Wroclaw, Polen

Die Schwarz-Gruppe ist kein linkes Aktionsbündnis gegen den Kapitalismus – ganz im Gegenteil, dahinter verbirgt sich Lidl und Kaufland und noch ein bisschen mehr. Laut einem Spiegel-Bericht werden in diesen Märkten die Zuckerpackungen nur noch in haushaltsüblichen Mengen verkauft. Weil doch die Polen kommen und alles weghamstern. Der Weltmarktpreis für Zucker ist nämlich gestiegen. Das hat zwar Auswirkungen in Polen, nicht aber in Deutschland. Weiß der Geier (( das Wappen Polens ziert ein Adler: “Einer Legende zufolge beschloss der legendäre erste Herrscher Polens, Herzog Lech, beim Anblick eines Adlers, der bei Sonnenuntergang in seinem Horst nistete, dieses Bild als sein Emblem zu verwenden”)), warum. Ich hab’ zwar ein paar Jahre lang BWL studiert, aber so richtig versteh’ ich das nicht. Eine kurze Recherche zum Zuckerpreis bringt auch keine Erhellung: Mal ist von krassen Anstiegen die Rede, dann wird der baldige Fall prophezeit. Einige Länder hatten gute Ernten, in Florida gab es einen Kälteinbruch und in Brasilien war es zu trocken. Das ist widersprüchlich und ergibt keinen Sinn. Führt aber zu solch’ Kleinoden:

“Die Spekulanten […] hatten den Preis schließlich bis Ende Januar auf bis zu 30 US-Cent pro Pfund getrieben. Waren die Importeure vorher schon vorsichtig, war es nun mit der Kauffreude ganz dahin. Indien cancelte schließlich den Kauf von 100.000 Tonnen, Ägypten sogar 300.000 Tonnen und auch Pakistan zuckte zurück. Und nach wie vor lässt die hohe Preisvolatilität die Importeure verhalten zurück. […] zum einen erweist sich die physische Nachfrage aufgrund der hohen Preisvolatilität zurückhaltend und zum anderen schwindet das spekulative Interesse, welches zuvor die Preise noch weiter nach oben getrieben hatte…” (quelle)

Ringelringelreihe – hä? Alles klar. Ich weiß, wie schräg drauf man sein oder welche Drogen man zu sich nehmen muss, um ernsthaft über den Zuckerpreis debattieren zu können – klar ist:

“…kostet Haushaltszucker in Deutschland derzeit um die 65 Cent pro Kilogramm. In Polen zahlten Verbraucher dagegen zwischen 1,25 und 1,70 Euro dafür” (SPON)

Warum allerdings die Schwarz-Gruppe das Zeug rationiert und nicht ein Bombengeschäft draus macht, indem sie einfach mehr in die Grenzregionen liefert, das entzieht sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich fahren sie es ein paar Kilometer weiter nach Polen, um dort höhere Gewinne zu erzielen. Denn schon längst gibt es Lidl und Kaufland auch in Polen, selbstverständlich unter demselbengleichen Namen.

Kleiner Tipp für unsere östlichen Nachbarn: In Steglitz in einem Lidl steht noch eine Palette Fein Zucker.

Der Glaube an das Wirtschaftswachstum als neue Religion

Zum Thema wird sogar schon geforscht: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Glaube und Wirtschaft, ersetzt der Kapitalismus gar die Kirche, das Handelsblatt-Abo das Bibelstudium?

Heute hat unser aller Qualitätsmedium Spiegel Online eine Umfrage gestartet:

Glauben Sie an den Aufschwung? Eine Spiegel Online-Umfrage vom 31.08.2010
Glauben Sie an den Aufschwung? Eine Spiegel Online-Umfrage vom 31.08.2010

Vor zwei Wochen glaubten die Menschen noch mehr:

Krise oder Aufschwung? Eine Spiegel Online-Umfrage vom 19.08.2010
Krise oder Aufschwung? Eine Spiegel Online-Umfrage vom 19.08.2010

Mit Verlaub finde ich das alles Unsinn und verwirrt die Menschen noch mehr. Aussagen zur Konjunktur kann man nur im Nachhinein treffen. Alles andere ist Prognose und damit nicht viel mehr als Hokuspokus. Da muss man sich nur mal anschauen, wie z.B. der ifo-Geschäftsklimaindex zustande kommt ((wikipedia schreibt: “Die aus einem Fragebogen erhaltenen Antworten werden nach einem nicht näher spezifizierten Verfahren bewertet und saisonal gewichtet. […] Die Fragebögen werden in der ersten Woche eines jeden Monats an Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels versandt. Die Unternehmen werden gebeten, ihre gegenwärtige Geschäftslage zu beurteilen und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate mitzuteilen. Mitte des Monats erhalten die Unternehmen eine Erinnerung, falls sie noch nicht geantwortet haben. Bis zum Vortag der Veröffentlichung des ifo Index, meist in der letzten Woche des Monats, können die Unternehmen die Fragebögen abgeben. In der Regel werden 7000 Meldungen aus den Unternehmen ausgewertet. […] Aufgrund der Qualität der erhobenen Daten (z.B. lag der Anteil der vom Ifo-Institut erfassten Branchen am BIP 1998 nur bei etwa 35%) erkauft er sich seine Vorteile allerdings durch eine im Vergleich zu Daten wie etwa dem BIP geringere Zuverlässigkeit.”)). Alles Bauchgefühle, die mit großem Aufwand erhoben und aufbereitet und zu harten Fakten kumuliert werden. Diese werden veröffentlicht, von Zeitungen entsprechend emotional aufgeladen (“Ökonomen entzaubern deutsches Jobwunder” / “Deutsche Firmen feiern den Aufschwung ” / “Angst vor Rezession lässt Anleger nicht los” / “Aufschwung versetzt Verbraucher in Konsumlaune”) und setzen sich in den Köpfen der Menschen fest. Bis dann die Kollegen vom ifo anrufen und nachfragen…

Google Trends- Auswertung der Begriffe ifo (blau), Aufschwung (rot), Rezession (gelb) für 2010
Google Trends- Auswertung für die Begriffe ifo (blau), Aufschwung (rot), Rezession (gelb) für 2010

Ein sich selbst bestätigendes System… Und weil wir sowas mögen, hier weltexklusiv die Umfrage zum Thema:

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was uns kaputt macht

Hilmar Schneiders (( Ökonom, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) / Interview “Das Ende der Massenarbeitslosigkeit” in Wirtschaftswoche 34/2010, S. 26 und im Internet)) Reaktion auf die Frage nach HartzIV-Kürzungen:

Das ist politisch auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar. Was meinen Sie, was los wäre, wenn die Regierung so etwas beschließt? Dann bekommen wir hier Straßenkämpfe.

Das ist bemerkenswert. Vor ein paar Wochen hat sich das bei Anne Will in der Diskussion zum Thema niemand getraut so zu formulieren. Oder ich hab’ das überhört. Aber er hat schon recht, der gute Herr Schneider. Auch wenn er sonst nur ziemlichen Quark daher redet.

Es klaffen zur Zeit mehrere Scheren auseinander. Und da hilft auch kein staatlich subventionierter Aufschwung (( durch Abwrackprämie, Bankenrettung, Kurzarbeit und ähnlichem)), das System marodiert vor sich hin.

Und es fehlt an Mutigen, die Ideen haben, den Finger in die Wunde drücken und sagen, wie es weiter gehen könnte. Es gibt sie sicherlich, doch niemand hört sie. Weil alle mit sich selber beschäftigt sind. Weil Politiker sich lieber selber hören, Dampf erzeugen, sich einlullen lassen und dabei ihr Volk vergessen. Diese Strategie kann auch schief gehen.

Man möge mich bitte korrigieren, wenn ich falsch liege.

money makes the world go ’round

https://www.youtube.com/supported_browsers?next_url=%2F!v=etJ9wwnYGlY

Funny van Dannen mal wieder, klar. Und ein scheiß Thema. Weil Kapitalismus erstmal nichts dafür kann, dass er so einen schlechten Ruf hat. Geld stinkt nicht. Im Gegenteil, wir verehren es. Wir tanzen drumherum wie ums goldene Kalb. Wir gehen täglich akkumulieren. Vielleicht nicht unbedingt unser eigenes Kapital. Aber immerhin jemand anderes’. Und trotzdem scheint irgendwas im großen Konzept Kapitalismus nicht zu funktionieren. Ich bin weiß Gott kein Volkswirt. Aber dass irgendwas nicht stimmt – um das zu erkennen braucht man keinen Schulabschluss. Und man muss auch nicht gleich zum Antikapitalisten werden. Aber ein bisschen Hinterfragen, Nachdenken und Reflektieren reicht schon. Dass nämlich irgend einer verliert, wenn wir im Discounter sparen. Dass der Großteil der Apple-Gewinne nicht den Fabrikarbeitern zu Gute kommt. Dass BP bisher noch keinen größeren wirtschaftlichen Schaden durchs Ölleck genommen hat. Darüber sollten wir wütend sein. Wir sollten fragen, warum die Regierung der Autoindustrie in den Arsch kriecht, aber jedem Hartzie wie einen Schwerverbrecher behandelt. Wir sollten anfangen, bewusst zu konsumieren. Wir sind die Verbraucher und Konsumenten, ohne uns gibt es keine Dividenden. Ohne uns gibt es keine Manager-Gehälter. Wir sollten aufhören, uns wie blökende Schafe (“SCHLAND!”) zu benehmen. Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld ist Alles nichts. Oder so. Money for Nothing. Kapitalismus ist nicht böse.

God’s away, God’s away
God’s away on business, business
God’s away, God’s away on business, business

{Tom Waits}