Preisliste für investigativen Journalismus

Trockenblumenstrauß im Wedding (Juni 2006)

der stern hat einen interessanten artikel über kids aus dem soldiner kiez, die geld dafür bekommen, dass sie scheiße fürs fernsehen bauen, damit sarrazin am ende doch recht behält (via).

Und hier die Preisliste:

  • Zeigen einer Stichwaffe: 20-50 €
  • Gruppenfoto mit Messer: bis 400 €
  • Zeigen eines Gewaltvideos im Handy: 10-30 €
  • Erzählen einer Skandalgeschichte war 250-400 €
  • gestellte Prügelszene: 400 €
  • Posen mit Kapuze vor der Kamera: 30-100€
  • Andeuten eines Steinwurfs in Richtung der Reporter: 250 €
  • Wurf eines Mülleimers aus dem Fenster: 120 €

(recherchiert von Waldemar Olesch / kingzofkiez.de)

geschichten aus einer viel zu großen stadt pt.16

tina veihelmann lebte mithilfe des kiezschreiberstipendiums im soldiner kiez, berlin-wedding zwischen 2006 und 2007. ein paarmal habe ich sie zu dieser zeit gesehen, wie sie auf der bank an der panke saß und sich geschichten erzählen ließ. die geschichten hat sie aufgeschrieben, kann man hier nachlesen oder in einem kleinen büchlein namens “soldiner spaziergang”. darin auch die story von den zwei künstlerinnen in der ehemaligen apotheke (“labor k1”, hatte ich damals auch). und das angenehme: frau veihelmann beobachtet lediglich, hört zu und schreibt auf. sie will nichts verändern, klagt nicht an. lesebefehl für all’ jene, die den soldiner kiez nur aus gruseligen presemitteilungen kennen.

ein anderer kommentar

weil der FAZ-artikel letztens einmal mehr nur einseitig und undifferenziert berichtete, haben sich auch andere geäußert: “Der Soldiner Kiez ist kein Kiez des Verbrechens.” (deinkiez.de):

Der Blick auf die realen Gegebenheiten führte hier zu einer Relativierung bestehender Klischees. Der Soldiner Kiez ist kein Ort des Verbrechens. Aber er ist auch kein problemfreier Kiez, und es gilt besonders, die Kinder und Jugendlichen im Kiez so zu fördern, dass ihnen eine kriminelle Karriere erspart bleibt. Projekte an den Schulen und im Kiez haben diesen Weg begonnen. Verfolgen wir ihn weiter.

ein kommentar

eigentlich wollte ich an dieser stelle meinen kommentar abgeben. aber warum nicht auch hier. wir haben schließlich ein referenzielles internet hier.

Vielen dank für das korrekte Einbinden meines Bildes oben. Auch ich bin gestern über den oben genannten Artikel gestoßen. Ich fand ihn nur leider unter aller Sau geschrieben und so gar nicht FAZ-Niveau. Aber das sollte der Autor mit seinem Chef klären. Viel bedenklicher fand ich die einseitige Darstellung der Wirklichkeit und die entsprechende Wirkung auf die Leser, die zu obigen Kommentaren führt.

Ich wohne seit Jahren im Soldiner Kiez und wurde bisher noch nie Opfer irgendwelcher Gewalttätigkeiten. Im Gegenteil, ich fühle mich in dieser Gegend sicher. Klar, vieles ist kaputt, dreckig und überall liegt Hundescheiße. Aber genauso siehts auch im national befreiten Friedrichshain aus. Es wohnen viele Assis hier. Die Armut, die Arbeitslosigkeit liegt in der Luft, man spürt sie. Wer ein bisschen mehr Geld hat, zieht weg. Übrig bleibt eine Unterschicht, bestehend aus Migrantenfamilien und Deutschen. Dass das nicht gerade wohltuend ist für das soziale Klima, dürfte jedem klar sein.

Leider beruft sich der Autor nur auf die Aussagen des Polizisten. Ich erlaube mir folgenden Vergleich: Würde man einen Einsatzbeamten nach einem Fußballspiel mit Ausschreitungen nach seiner Meinung zu den Fußballfans fragen, so wäre die Antwort nicht sehr kuschelig.

Was ich nicht sagen will ist, dass es die Gewalt nicht gibt. Es gibt sie, die Agression liegt in der Luft. Und auch ich lese kopfschüttelnd die Polizeiberichte. Doch die Antwort auf Gewalt kann nicht Gewalt sein. Oder wollen die Anwesenden hier einen Polizeistaat unter Führung der deutschen Herrenrasse? Da lach ich mich schlapp und empfehle einen Besuch in den urigen deutschen Kneipen in der Soldiner Straße. Da säuft sich die Herrenrasse tagtäglich den Kopf zu. Was ich damit sagen will: Das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass Drohkulissen aufgebaut und Sündenbücke benannt werden.

Im Kiez arbeiten einige ehrenamtliche Mitarbeiter und engagieren sich für die Kids. Damit die nicht Opfer und Täter dieser Gewaltspirale werden. Und davor ziehe ich meinen Hut. Nicht vor lausigen Internet-Hetzern.

Bestandsaufnahme im Kiez

FAZ-Autor Philip Eppelsheim war im Kiez unterwegs und musste sich vor die Füße spucken lassen. Auf Schritt und Tritt hat er den Kontaktbereichsbeamten Christian Eitel verfolgt und Innensenator Körting interviewt. Heraus gekommen ist ein fast unlesbarer Text, der zwar eine Reportage sein soll aber journalistisch unter aller Kanone ist. Das haben wir schon besser gelesen bei der FAZ. Dieser Absatz soll einstimmen auf die folgenden Zeilen zum Thema Jugendkriminalität:

Auf seiner morgendlichen Streife nähert sich Eitel der Soldiner Straße, läuft vorbei an der Biesentaler Straße. Der Müll der Nacht – Flaschen, Kippen, Hausrat – ist zur Seite gekehrt. Abseits der Pankstraße mit ihren Dönerbuden ist kaum jemand auf den Gehwegen unterwegs. Die Kinderspielplätze zwischen Hausmauern, mit Müll übersät, liegen verwaist. Die Junkies nutzen sie in der Nacht für sich. Urin und Kot im Sand.

Ich will jetzt gar nichts beschönigen, jugendliche Gewalttäter verteidigen oder gar von einer heilen Welt sprechen – aber ein bisschen mehr Differenzierung hätte ich mir schon gewünscht von Deutschlands intellektuellster(?) Zeitung. Denn was da holprig zusammen geschrieben wurde, ist eine Mischung aus Boulevard und persönlicher Meinung. Und der Autor begeht einen groben Fehler: Zwar schreibt er über die Jugendlichen, doch mit ihnen geredet hat er nicht. Im Gegenteil, er läuft lieber weg:

In der Nacht sind die Straßen noch verlassener als am Tag, wenn zumindest die von Dönerbuden und Handyläden gesäumten Straßen bevölkert sind. Nur eine Gruppe Jugendlicher ist in der Soldiner Straße unterwegs. Sie schreien “hey”, lachen, als die Schrittfrequenz des Fremden schneller wird. Eine Ecke weiter spuckt ein Jugendlicher seine Rotze vor seine Füße.

Furchtbar!

Ja, es gibt ein Problem mit Jugendkriminalität. Aber wir sollten anfangen, sie zu lösen, anstatt immer nur mit unserem Finger darauf zu zeigen.