Berliner Abwrackerei

Am Samstag fand sich ein beachtenswerter Artikel von Arno Widmann in der Berliner Zeitung (via +Mario Sixtus). Mit vielen klugen Sätzen und Denkschmalz. Der Klick lohnt also. Und weil brennende Autos gerade durchs Boulevard getrieben und verwahlkampft werden, ein Zitat aus dem Artikel:

Aber denken wir daran, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man zwanzigtausend Euro einfach so auf die Straße stellt und empört ist, wenn ihnen etwas passiert?

Nun könnte man einwerfen, dass es bis vor kurzem noch völlig ungefährlich war, sein Auto zu parken. Nun muss man jeden Morgen mit dem Äußersten rechnen. Dass der Maserati mal wieder abgebrannt ist, mitten in Charlottenburg. Da sind dann ein paar Euro mehr als zwanzigtausend verpufft. Aber vielleicht hat sich die Gesellschaft auch verändert und Früher™ ist Geschichte. Oder, eleganter ausgedrückt:

Wir leben mitten in einem Systemwechsel. Wir werden einhundert Jahre brauchen, um zu begreifen, wie er sich abgespielt hat. Wir werden immer wieder versuchen, ihn mit den Begriffen rechts und links einzufangen. Das wird uns nichts helfen.

Kunst an der Feuerwache Kreuzberg (Juni 2008)

Um mal von den brennenden Autos wegzukommen: Ich halte das für Taten Einzelner (bzw. rhetorischer Einzeller) und weit weniger politisch motiviert, als es dargestellt wird. Weil es kontraproduktiv ist, weil die Versicherungen doch zahlen, das Leben Dritter gefährdet wird und es keiner Sache dient als blinder Zerstörungswut. Viel aussagekräftiger sind die Reaktionen der Presse, die die Taten gleich in die linke, linksautonome Szene drücken und es sich damit sehr, zu einfach machen. Es herrscht eine gereizte Stimmung wie zu besten RAF-Zeiten.

Das verstellt den Blick auf das eigentliche: Dass vieles falsch läuft in unserer Gesellschaft, dass wir uns verrannt haben in einen blinden Glauben an den Markt. Dass wir die Relationen verloren haben, weil wir dem schwer vermittelbaren Hartzler seinen Lottoschein nicht gönnen, dem systemrelevanten Bankler seine Prämienboni aber schon. Zugegeben, etwas populistisch, aber im Kern wahr.

Es geht nicht um Utopie, Planwirtschaft, Sozialismus oder Parteiengeplänkel, es geht um Realitäten. Um Marktaufsicht, statt -kontrolle. Es kann nicht sein, dass Unternehmen ihr Kapital aus dem Kerngeschäft ziehen und in den Finanzmarkt pumpen, wie bis 2008 passiert. Es kann nicht sein, dass blind Schuldverschreibungen und Bürgschaften ohne Auflagen für andere Staaten übernommen werden und der eigene Haushalt damit in Gefahr gerät (das hat gar nichts mit Nationalstaatlichkeit zu tun, eher mit Rationalismus).

Nun ist es einfach auf die Politik zu schmipfen, aber was kann ich als Einzelner tun? Versuchen zu verstehen, was da oben abgeht? Oder machen lassen und mich so durchwursteln? Selber Autos abwracken? So viele offene Fragen.

zusammengestammeltes

  1. bitte hier entlang und noch einmal drüber nachdenken, wem internetsperren letztendlich nützen – den opfern oder nicht doch vielleicht einem totalitärem staat?
  2. die zweite ausgabe der pflichtlektüre für den ordentlichen weddinger habe ich mir heute morgen ganz konsequent am leopoldplatz besorgt. das heft riecht ganz eklig nach druckerei, ist aber besser als die erste ausgabe und noch dazu spannend. so muss das sein.
  3. probiere gerade den opera-browser aus, um das neue layout zu testen. der ist schnell, kann auch emails und noch tausend andere sachen – nur zu empfehlen.
  4. heiko werning über das abwracken von alltäglichem – lesebefehl!