Januar 2017

während wir uns über die neuesten einreiseverbote der usa echauffieren, warten vor den toren europas menschen in teilweise unwürdigen lagern. oder sie ertrinken im mittelmeer. während wir im trockenen und warmen sitzen, klopfen sie an, wir aber ignorieren sie. statt infrastrukturen und lösungen für immigration zu finden und zu diskutieren, schotten wir uns ab, ziehen mauern und zäune hoch und klopfen uns auf die schultern, weil wir trump soeben für jene politik kritisiert haben.

jahrzehntelang haben wir uns gegenseitig versichert, dass soetwas wie hitler nie wieder passieren kann und nun erleben wir die anfänge auf twitter. die sprache verroht, erst in den sozialen medien, dann in öffentlichen debatten. immer hemmungsloser werden obergrenzen, schießbefehle und segregation gefordert, als hätte es aufklärung, die lehren aus dem zweiten weltkrieg und bürgerrechtsbewegungen nie gegeben. geschichte wiederholt sich, als farce diesmal. unser problem sind nicht verschleierte frauen, unser problem ist unverschleierter hass gegen andere die nicht so denken und aussehen wie wir.

wir müssen wieder die demokratie verteidigen gegen die hetzer. die debatten und die politik werden getrieben von unsinnigem getrolle. bei all’ dem bleibt keine zeit für wichtige debatten. wer konnte in den letzten monaten schon substanziell über politik sprechen, ohne dass er dabei merkel verteidigen musste? hätten wir uns vorher nie vorstellen können! lasst uns anfangen, über gerechtigkeit und verteilung zu sprechen. lange jahre exportweltmeister sind eine ungleich größere gefahr für deutschland und europa, als es flüchtende sind.

#feminismus

ich bin ein alter weißer mann mit privilegien, die ich vermutlich noch nicht vollumfänglich ausgecheckt habe. ich verstehe nicht viel von feminismus. aber ich habe respekt, mindestens. allen gegenüber, nicht nur frauen. und auch wenn ich mich bemühe, so kann ich den konflikt zwischen alten und neuen feministinnen nicht komplett druchdringen:

EMMA: Berliner Szene: Die Hetzfeministinnen, 17. Januar 2017
taz.de: Kolumne Habibitus. Nicht weiser, nur älter, 26.?1.?2017

mir scheint, das ist eher eine politische debatte und hat mit frauenrechte und gleichstellung und gleichbehandlung nur noch entfernt zu tun. und es geht um verschiedene vorstellungen vom frau-sein. insofern fand ich folgenden einschub im emma-link ziemlich absurd:

Die 1981 in der DDR geborene Wizorek scheint wenig zu wissen von dem Kampf der Feministinnen im Westen gegen männliche Gewalt seit Mitte der 1970er Jahre. Oder weiß sie es besser und hat Gründe, es zu ignorieren?

denn das macht es zu einem generationskonflikt und damit irrelevant. man kann seiner gegenüberin so ziemlich alles vorwerfen, aber doch nicht ihr alter und ihre sozialisation.

vielleicht ist es auch dieses die revolution frisst ihre töchter – die jungen machen da weiter, wo die alten aufgehört haben? oder feminismus ist immer auch ein spiegel unserer gsellschaft? oder ist feminismus lediglich lobbyarbeit im sinne der frau?

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“Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.”

KARL POPPER: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (via)

kritik der kapitalismuskritik

das kapitalismustribunal ist ein spannendes projekt, hier finden seit knapp zwei jahren diskurse, theater und workshops rund um schuld und verantwortung derzeitiger krisen und falscher entwicklungen statt. immer in der form einer gerichtsverhandlung. hauptfeind ist der kapitalismus als solcher und der neoliberalismus im speziellen. es wird nach neuen regeln gesucht, die unser zusammenleben verbessern, misstände beenden undsoweiter.

Das Versprechen des Kapitalismus’ lautete: »Allen wird es besser gehen!« Inzwischen gehen immer mehr Menschen davon aus, dass diese Annahme falsch ist. Sie beobachten zunehmend Unfreiheit, Ungleichheit und sehen den sozialen Frieden unmittelbar durch den Kapitalismus bedroht. Zugleich zeigt sich ihnen das ökologische Desaster durch die Verbrennung der Grundlagen irdischen Lebens.
Im Kapitalismustribunal wird die Frage der Schuld des Kapitalismus’ und seiner Protagonisten fair verhandelt.

gestern abend war lesung zum daraus entstandenen buch im roten salon der volksbühne.

die schönen texte wurden vorgetragen, es gab einen engagierten moderator, der schöne fragen stellte. jedoch jenseits der texte wurde der diskurs zäh und träge, es wurde die besetzung des intendanten der volksbühne kritisiert, es ging um die frage, ob viele kleine verbesserungen besser seien als das große ganze im auge zu haben, vereinzelt fragwürdige zwischenrufe ließen fragezeichen in den gesichtern aufblitzen. der abend entglitt ins schwafeln und zeigte vor allem, dass es keine lösungen gibt, keine utopien, die linke ist fertig und schielt neidisch auf den populistischen ansatz der rechten und neurechten.

am ende wieder schöne texte aus dem buch, denn das kann die linke noch, formulieren, metaphern, wortgewaltige sprachbilder erzeugen und das publikum angepannt zuhören lassen. nur der dialog blieb weit hinter den erwartungen, auch weil wir nicht nur im postfaktizismus leben sondern auch nach der theorie. der kapitalismus passt sich wunderbar an, einverleibt die kapitalismuskritik und akkumuliert gewinne. wir brauchen also nichts so dringender wie neue regeln für ihn, um ihn in die schranken zu weisen, auch dafür braucht es bücher, dialoge und solche abende, so ätzend sie auch sind.