karl schmidt, am ende bei herrn lehmann, am tag des mauerfalls, hat er sein kunstwerk zertrümmert, nach heftigem schlafentzug und sonstwas. dafür kam er in einer hamburger drogen-wg runter und ist nun wieder voll da. aber ganz ohne drogen geht es auch nicht: starker filterkaffee und zigaretten müssen sein. nach jahren der enthaltsamkeit zieht ihn das schicksal und die alten kontakte ins berlin der neunziger, voll siffigem umbruch- und künstler-wahn, rein in den techno-zirkus und ab durch deutschland auf große tour, bis nach schrankenhusen-borstel. eine tour de force, ein road-trip, ein ritt durch gestrandete lebensentwürfe und gescheiterte und erfolgreiche existenzen. wer eine ausgeklügelte story mit nebenhandlungen und überraschenden wendungen sucht, der ist hier falsch: regener erzählt linear, hier gibt es keine extrawurst für germanisten, es sind aber genau die sprache, die trockenen dialoge und die irren gedanken und kommentare, die dieses hörbuch so unwiderstehlich machen. dazu protagonisten, die es wohl nur in zeiten großer gesellschaftlicher umbrüche gibt. kurzum: lest dieses buch, oder lasst es euch vorlesen, vom autor selbst, ihr werdet es lieben. oder, wie hannah beim großen online-händler kommentiert:
“Ständig hab ich auf Bewegung in der Geschichte gewartet. Vergebens. Und vielleicht ist es auch einfach nicht mehr zeitgemäß. Die endlos Sätze (ein Satz gleich eine Seite oder auch mal drei Seiten) nervt inzwischen doch schon ziemlich. Auch hat man immer wieder das Gefühl, es handele sich insbesondere bei den Figuren Reimund und Ferdi um geistig leicht Zurückgebliebene. Die Art der Sprachewahl mit Anfang 50 ist auch für “Jungegebliebene” recht niveaulos und primitiv. Beide bekommen oft keinen vernünftigen zusammenhängenden Satz zu Stande. Statt dessen reihen sich Wörter, Wiederholungen und Lückenfüller aneinander und füllen damit die ganze Buchseite. Könnte am ständigen Cannabiskonsum liegen, was auch völlig out ist.”
[xrr rating=7/7]
carsten ~ 16.12.2013 ~ #90er #alkohol #berlin #drogen #entzug #Frank Lehmann #hamburg #musik #Sven Regener #techno #tour ~ literatur
in den letzten wochen nochmal die regener-bücher über karl schmidt, frank lehmann und die bande gehört. ein ganzes universum ist das, in etwa vergleichbar mit herr der ringe oder star wars. die bücher sind nicht ganz chronologisch über einen zeitraum von 15 jahren erschienen und unterscheiden sich literarisch und perspektivisch. alle beschreiben sie ein westdeutschland (bremen) und westberlin (kreuzberg) der 80er jahre, das inzwischen so fremd und weit entfernt ist wie das auenland.
es sind die dialoge, regener lässt die protagonisten allen sinn und unsinn faseln, ihre sicht auf die dinge. dazu die gedanken von frank (und später karl). das sind auch keine gewinner, es muss sich in der welt zurecht gefunden werden, später in der kunstwelt. es muss überlebt, aber vor allem gelebt werden. es wird viel getrunken und geraucht. dabei mäandern die themen zwischen oberflächlich und tiefen gedanken. und vor dem kneipenfenster passiert die große weltgeschichte.
trivialitäten treffen große fragen. provinz trifft großstadt, die großen fragen werden behandelt im kleinen. vieles bleibt offen und zwischen den büchern ergeben sich ungereimtheiten, aber das ist nicht der punkt. vielmehr geht es um die dialoge, das sind – obwohl oft unzusammenhängend und wirr – die wahren stars der bücher.
und, natürlich sind die hörbücher besser, vom autor gelesen.
Herr Lehmann (Hörbuch) (2001)
Neue Vahr Süd (2004)
Der kleine Bruder (2008)
Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (Hörbuch) (2013)
Wiener Straße (Hörbuch) (2017)