Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich (2015)
Ein wichtiges Buch zu einem Thema, das bisher wenig diskutiert wurde. Systematischer Drogenmissbrauch in Gesellschaft, Wehrmacht und beim Führer kratzen am Mythos des arischen und gesunden Volkskörpers. Ob Überfall auf Polen, “Blitzkrieg” gegen Frankreich, Stalingrad - der Autor spricht von flächendeckendem Meth-Konsum bei den Soldaten, in Form des Präparats Pervitin der Berliner Temmler-Werke. Also das gleiche Zeug, was heute als Crystal Meth traurige Berühmtheit genießt: Hält dich wach und du überschätzt dich - ideal für einen Angriffskrieg. Dann wird die zweifelhafte Rolle des Theo Morell beleuchtet, der Leibarzt Hitlers und anderer Nazigrößen. Immer wieder gab es Spritzen gegen alle möglichen Wehwehchen, bis hin zu Eukodal (Oxycodon), einem heute noch beliebten Schmerzmittel und Kokain. Ob Hitler tatsächlich süchtig war und in den letzten Monaten unter Entzugserscheinungen litt ist höchst umstritten (siehe unten verlinkte Rezensionen) - verabreicht wurde es, zusammen mit allerlei anderem zwielichtigem Zeug. Ein weiteres Kapitel schließlich beschäftigt sich mit Drogenexperimenten in Marine und KZ, die nach dem Krieg auch in den USA und anderswo weiter geführt wurden. Auch wenn die Erzählweise für ein Sachbuch zu reißerisch ist und die Grenze von Drogen, aufputschenden Mitteln und Nahrungsergänzungsmitteln früher eher fließend war - die Geschichte sollte erzählt werden. Keinesfalls - und das macht Ohler deutlich - soll es eine Erklärung oder gar Entschuldigung für die irren Entscheidungen und Handlungen der Nazis sein. Sie haben bewusst die Mittel verabreicht, um ihre Pläne durchzusetzen, um die Wehmacht aufzuputschen. Die Pläne jedoch entstanden schon vorher bei klarem Bewusstsein. Das Buch habe ich in zwei Tagen verschlungen, aber ein bisschen Kontext benötigt man schon, um das einzuordnen.
zur Einordnung:
- Hier ein Interview mit dem Autor von 2015.
- Martin Doerry hat in DER SPIEGEL 37/2015 starke Zweifel an den Thesen
- die SZ ordnet das Buch anders ein (€€€)
- die WELT kann die Welt nicht mehr verstehen
- DIE ZEIT hat auch ihre Zweifel