anleitung zum korrekten gentrifizieren

zum thema gentrifizierung hatten wir ja schon ein paar artikel hier (( der wedding wird bunt (Oktober 2010)
Wird der Wedding bald Luxus? (Mai 2010)
Gentri-was? (Juli 2008)
schwabenbashing aus weddinger sicht (Juni 2008) )). also nicht neues für den aufmerksamen leser. heute wollen wir uns aber nicht mit den folgen und auswirkungen beschäftigen, sondern dem neu-berliner und neu-reichen und zugezogenem schwaben eine kleine starthilfe mitgeben. dass er nicht bei null anfangen muss mit der aufwertung. vor allem im wedding, dem neuen lieblingsprojekt der gentrificateure.

alles fing ganz harmlos an letzte woche. s. fragte an, ob wir ihm nicht helfen könnten beim ausmisten seines neuen wohnraums. oben, im afrikanischen viertel. nur ein paar schränke müssten raus. klar, warum denn nicht, man hilft ja wo man kann. und dann gings auch schon los. hat natürlich alles wieder viel länger gedauert als geplant. der teppich war fest mit den dielen verklebt, eine dicke schicht hartnäckiger NASA-weltraumkleber wurde vor 40 jahren hier getestet. entsprechend mühsam war die entfernung. der schrank im schlafzimmer bestand aus stahlbetonholz und krümmte den raum durch seine schiere masse und anziehungskraft. der ikea-schreibtisch bestand aber nur aus pappe, das war dann erleichternd.

nur musste das zeug auch irgendwo hin. eine ganze robbenpritsche voll. und weil es in berlin so wenig wald gibt, eben auf den BSR-hof. im prenzlauer berg, weils so schön nah ist. aber nein! dort schickte man uns übellaunig weg, weil wir zu voll waren – kein unüblicher zustand. man verwies uns nach neukölln. da werden wir alles los, aber nur gegen geld. weil auf den kleinen BSR- höfen nur zwei kubikmeter zeuch abgeladen werden darf. na toll. die fahrt dahin war auch nicht ohne, weil irgendwelche antifas kreuzberg blockierten und wir drumrum mussten.

irgendwann sind wir aber angekommen, gradestraße, britz von seiner schönsten seite. das gelände erinnerte eher an einen grenzübergang mit irrsinnig vielen fahrspuren und hinweisen und überhaupt. zum glück war nicht viel los. alle aussteigen, das gefährt musste gewogen werden. runter vom gummi, schrien sie. damit das gewicht nicht verfälscht wird, klar.

und dann weiter, eine rampe hoch und in eine riesige halle mit dem flair einer lego-mondstation. kunstlicht, herumfahrende bagger, sirenen. irreal, surreal, unwirklich (( ein nicht-ort, hätte der stadtsoziologe geschimpft. der war aber gar nicht dabei)). dazwischen freundliche, soldatisch-anweisende mitarbeiter. der müll wird auf riesige container verteilt. gesagt, getan. es macht auch unglaublich spaß, ehemalige wohnmöbel mit gewalt auf einen haufen zu wuchten. streßabbau der kopfarbeiter. und dann wieder raus, das auto wird wieder gewogen, die differenz – stolze 700 Kilo immerhin – will bezahlt werden. eine horrende summe für müll ausgegeben, auch eine schöne scheiße. aber immerhin ein reines gewissen. wer weiß, was die tolles nun damit machen. wärme, strom, neue möbel, einen noch größeren uber-recyclinghof bauen, was weiß ich denn.

was bleibt, ist die erkenntnis, das nächste mal mehr geld in wertigere möbel zu investieren.

berlin, deine kieze

wo können klischees besser ausgelebt werden als in der photographie? eine dokumentation der ressentiments…

An einem Sonntag in der Oderberger (Mai 2010)
An einem Sonntag in der Oderberger (Mai 2010)
An einem Sonntag in der Oderberger II (Mai 2010)
An einem Sonntag in der Oderberger II (Mai 2010)
Jazz im Bürgerpark (Mai 2010)
Jazz im Bürgerpark (Mai 2010)
Hinterhof im Wedding (Mai 2010)
Hinterhof im Wedding (Mai 2010)
Hinterhof im Wedding II (Mai 2010)
Hinterhof im Wedding II (Mai 2010)
Ordnung in Charlottenburg (Mai 2010)
Ordnung in Charlottenburg (Mai 2010)
Strandbar in Mitte (Juni 2010)
Strandbar in Mitte (Juni 2010)
Aufwertung in Prenzlauer Berg (Juli 2010)
Aufwertung in Prenzlauer Berg (Juli 2010)

Wird der Wedding bald Luxus?

Letzte Woche gabs eine spannende Diskussion zum Thema “Gentrifizierung im Wedding?” – ich war leider nicht da, dafür der stadtbekannte Soziologe Andrej Holm. Er hat nun die Diskussion zusammen gefasst und veröffentlicht:

Gentrification Blog: Berlin-Wedding: Im Schatten der Aufwertung (15. Mai 2010)

Nun wohn’ ich schon eine Weile hier, alle paar Jahre erklären zitty und tip den Wedding zur neuen Szene. Die DEGEWO thront wie eine Käseglocke über allem und füllt die unvermietbaren Läden mit Künstlern zum Selbstkostenpreis. Einmal im Monat ist Kolonie Wedding, da kommen merkwürdige Menschen aus anderen Stadtteilen und gucken Kunst. Das Quartiersmanagement versucht ziemlich viel, nicht nur Aufwertung, auch Integration, Sprachkurse und so Sachen.

Schrebergartenglück in Berlin-Wedding
Gartenlauben an der Panke: Wird das bald der einzige bezahlbare Wohnraum im Wedding?

Aber Veränderungen? Sicher, Roibereien und Schusswechsel sind seltener geworden. Die strukturellen Probleme aber bleiben und sind sehr offensichtlich. Armut, hoher Migrantenanteil, jahrzehntelange verfehlte Politik und mieses Image – im Wedding subsumiert sich das alles. Die Bürgersteige werden als Sperrmülldeponien missbraucht (nebenbei: die BSR leistet viel, karrt das Zeug regelmäßig weg – und die Preise steigen), Hundescheiße und aggressive Jungs. Brüllende Mütter auf Spielplätzen. Jedem Gentrifikations-Theoretiker sei ein Besuch des örtlichen Discounters ans Herz gelegt. Wer hier herzieht wegen der billigeren Mieten (Stichwort “Umzugsketten”), der sollte sich auf einiges gefasst machen. Der Ton ist rauer, prolliger und berliniger als anderswo.

Altbausubstanz im Wedding
Wolkenkulisse an der Wriezener Ecke Biesentaler

Und so schnell wird sich das auch nicht ändern. Sicher, die Mieten werden teurer, die Frage ist nur, wie schnell. Aber ob sie je das Niveau von Prenzlauer Berg erreichen, bleibt zweifelhaft. Die Voraussetzungen sind eben andere, hier gibt es keine Immobilienfirmen, die nach der Wende billig Häuser gekauft haben. Hier gibt es kaum Leerstand (und wenn, dann nur in unzumutbaren Plattenbauten). Hier gibt es (noch) keine Szenekneipen, nur künstlich erzeugtes Künstlerleben (siehe oben). Saniert wird auch, aber nicht mehr als anderswo. Viel Kaputtes wurde abgerissen nach dem Krieg und durch zweifelhafte Architektur ersetzt, die Jahrhundertwende-Häuser wurden kontinuierlich modernisiert und sind durchweg in einem passablen Zustand. Arabisch- und türkisch-stämmige Familien bleiben durchschnittlich länger in Wohnungen als beispielsweise Studenten, die nach ihrem Studium woanders hin ziehen. Alles Gründe gegen eine beschleunigte Aufwertung.

Hugo-Heimann-Bibliothek, Swinemünder Straße
zweifelhafte 70er-Jahre-Architektur: Dreck auf Knallorange mit runden Ecken

Hier im Haus haben sich die Mieter auch fast komplett ausgetauscht, im Flur stehen plötzlich Kinderwagen und alle sind jünger als noch vor ein paar Jahren. Wo sind die alten Mieter hin? Ist das schon Gentrifizierung oder ein ganz normaler Prozess in einem Mietshaus? Die Grenzen sind fließend und vielleicht bin ich auch Teil der Bewegung, Auslöser oder treibende Kraft. Keine Ahnung.

Ich finde, bei dieser Diskussion ist auch ganz viel Hass, Sozialneid und Ignoranz dabei. Klar, dass Luxuswohnprojekte scheiße sind. Aber es ist eine Entwicklung. Aufhalten kann man das nicht, schon gar nicht stoppen. Zieht man eben um, wenns einem nicht mehr gefällt. Oder hab ich irgendwo was falsch verstanden?