geschichten aus einer viel zu großen stadt pt. 8: gottesbeweis. aber sowas von.

ich habe IHN gesehen! ganz ehrlich jetzt. und er hat mich so verwirrt, dass ich garnicht weiß wo ich anfangen soll. aber alles der reihe nach. eigentlich wollte ich nur nach hause. nach einem weniger erfüllten aber doch anstrengenden arbeitstag. nach innerer aufregung über die lokführer und überfüllten s-bahnen. stand ich jedenfalls an der bushaltestelle und wartete auf den M27. um mich herum gefühlte tausend menschen und langsam wurde es kalt. irgendwas stimmte nicht, denn der bus kam nicht. ob die bvg wieder schuld war? zu müde um intensive überlegungen anzustellen und gefühllos starrte ich in die berliner kälte. autos rauschten vorbei und nervös zuckende blicke kreutzten sich. kurz: diese typische berliner abgenervtheit für die uns relaxte städte wie hamburg und castrop-rauxel nunmal beneiden. dann kam ER. lange weiße und verfilzte haare. nachlässig gekleidet und einen ominösen anhänger um den hals. zuerst trat ER nur gegen das haltestellenschild. und gluckste unverständliches. was macht man in einer solchen situation? wegdrehen und die blicke der anderen checken. ah, sind auch abgenervt. dann ist ja alles in ordnung. denn meistens gibts einen, der den helden spielt und sich rumstreiten will. wollte aber keiner. gut so. plötzlich und unerwartet drehte ER sich zu uns rum und sah uns mit blitzenden augen an. mit dröhnender, leicht brüchiger stimme schrie er fast: “die streiken doch garnicht! die streiken doch garnicht!” und meinte damit die bvg. recht hatte ER. denn es sind ja nur die lokführer, die stress machen. kopfnicken und leichtes gemurmel um mich. die situation spitzte sich zu. schnell war der innere feind gefunden. jetzt braucht es nur eines funkens und die ganze geschichte eskaliert. doch dazu kam es nicht. ER trieb unsere gedankengänge weiter, die neuronen galoppierten und ich fiel IHM fast vor die füße, als ER sagte: “und schaut euch die typen in den autos an, wie sie vorbeifahren! sie müssten euch mitnehmen, jeden einzelnen von euch!”. das wars. bumm. ich liebte ihn dafür. im grunde hat er das ausgesprochen, was ich die ganze zeit (unterbewußt?) dachte: da gibts die einen (warten auf den bus) und da die anderen (im auto). und beide gruppen werden sich nie verstehen, verabscheuen sich gegenseitig und würden sich nie und nimmer gegenseitig helfen. wie recht ER also hatte. und wie er sich selbst ausgenommen hat von seinen bescheidenen forderungen! unglaublich! der messias ist zurück und wohnt im wedding! am nettelbeckplatz. ganz ehrlich, ich habe IHN gesehen. denkt mal drüber nach, denn im grunde ist es im leben immer so: die einen sitzen im auto und die anderen warten auf den bus.

[nachtrag:] der bus kam eine halbe stunde später. gleich drei hintereinander. irgendein kack unfall auf der reinickendorfer oder so. wasweißich. IHN habe ich dann nicht mehr gesehen. ein messias muss nicht bus fahren…

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Now playing: Tom Waits – God’s away on business


carsten ~ 16.11.2007 ~ # ~ berlingeschichten

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