kritik der technologiekritik

in sichtweite des ehemaligen Kaufhaus Jonaß, in dem jetzt der dekadente privatclub soho mit fitnesscenter und glamour und pipapopo ist, befindet sich die ladengalerie der linken tageszeitung junge welt. das ist ziemlich witzig, gestern waren wir da als werner seppmann sein neues buch kritik des computers vorstellte, untertitel: Der Kapitalismus und die Digitalisierung des Sozialen.

seppmann hält nicht viel von computern und dem internet. seine kritik richtet sich weniger gegen technik, vielmehr gegen die auswirkungen. seine these, dass die zunehmende automatisierung und comuputeriesierung unseres berufslebens und alltags uns stärker in die kapitalistische gesellschaftsordnung zwängt, ist nachvollziehbar und durchaus interessant.

wenn man jedoch die Standardsituationen der Technologiekritik (2009) von Kathrin Passig anlegt, so bleibt seppmann an der oberfläche und kritisiert computer und technolgie, so wie seit jahrhunderten technologie kritisiert wird: ängstlich, wütend und leider uninformiert. Joseph Weizenbaum, Manfred Spitzer und Nicholas Carr liefern die stichwörter. es ist zwar amüsant, wenn niemand mehr karten lesen kann, weil alle nur navis benutzen. oder keiner sich mehr im cafè anschaut, nur noch auf diplays glotzt. wenn amazon heerscharen von billiglöhnern beschäftigt, weil alle nur online shoppen und keiner mehr lokal kauft. das wissen wir alles und es wird uns seit mindestens zehn jahren erzählt. natürlich wird auch das argument des arbeitsplatzwegfalls durch roboterisierung ins feld geführt. und der aufstieg von rechtspopulisten durch soziale medien erwähnt. und natürlich der verlust von privatsphäre und zunehmende überwachung.

bei all’ dem gegrantel bleiben die chancen des netzes unberücksichtigt: dezentrale kommunikation, zugriff auf informationen, austausch und organisation ohne nationale oder räumliche beschränkungen. dass diese chancen nicht genutzt werden und die user sich lieber auf facebook tümmeln, das liegt vielmehr am menschsein als an der technologie. bequemlichkeit siegt meist. und hier verpasst der autor den bogen zum marxismus zu spannen, den er vertritt. er steckt in seiner abneigung und ablehnung fest, verneint das neue generell.

die frage ist letztendlich, wie können wir computer und netze für uns nutzen, um ein besseres leben für alle zu organisieren. wie können wir es schaffen, menschen nahe zu bringen, dass sie mehr im netz machen können als katzenbilder und online casinos?

kritik der kapitalismuskritik

das kapitalismustribunal ist ein spannendes projekt, hier finden seit knapp zwei jahren diskurse, theater und workshops rund um schuld und verantwortung derzeitiger krisen und falscher entwicklungen statt. immer in der form einer gerichtsverhandlung. hauptfeind ist der kapitalismus als solcher und der neoliberalismus im speziellen. es wird nach neuen regeln gesucht, die unser zusammenleben verbessern, misstände beenden undsoweiter.

Das Versprechen des Kapitalismus’ lautete: »Allen wird es besser gehen!« Inzwischen gehen immer mehr Menschen davon aus, dass diese Annahme falsch ist. Sie beobachten zunehmend Unfreiheit, Ungleichheit und sehen den sozialen Frieden unmittelbar durch den Kapitalismus bedroht. Zugleich zeigt sich ihnen das ökologische Desaster durch die Verbrennung der Grundlagen irdischen Lebens.
Im Kapitalismustribunal wird die Frage der Schuld des Kapitalismus’ und seiner Protagonisten fair verhandelt.

gestern abend war lesung zum daraus entstandenen buch im roten salon der volksbühne.

die schönen texte wurden vorgetragen, es gab einen engagierten moderator, der schöne fragen stellte. jedoch jenseits der texte wurde der diskurs zäh und träge, es wurde die besetzung des intendanten der volksbühne kritisiert, es ging um die frage, ob viele kleine verbesserungen besser seien als das große ganze im auge zu haben, vereinzelt fragwürdige zwischenrufe ließen fragezeichen in den gesichtern aufblitzen. der abend entglitt ins schwafeln und zeigte vor allem, dass es keine lösungen gibt, keine utopien, die linke ist fertig und schielt neidisch auf den populistischen ansatz der rechten und neurechten.

am ende wieder schöne texte aus dem buch, denn das kann die linke noch, formulieren, metaphern, wortgewaltige sprachbilder erzeugen und das publikum angepannt zuhören lassen. nur der dialog blieb weit hinter den erwartungen, auch weil wir nicht nur im postfaktizismus leben sondern auch nach der theorie. der kapitalismus passt sich wunderbar an, einverleibt die kapitalismuskritik und akkumuliert gewinne. wir brauchen also nichts so dringender wie neue regeln für ihn, um ihn in die schranken zu weisen, auch dafür braucht es bücher, dialoge und solche abende, so ätzend sie auch sind.

Filmkritik: Sausage Party (2016)

ein animationsfilm für erwachsene, der sich bei eingehender betrachtung als pubertierende variation eines einzigen wunsches heraus stellt: die verzehrende sehnsucht nach dem ersten sex. der ganze film ist getränkt mit schlechtem pubertätswitz und prolligen humor. dabei ist es unter vielem krach eine geschichte des aufbegehrens und der verweigerung: die lebensmittel verweigern sich ihrer natürlichen bestimmung und begehren auf. es gibt eine große vielfalt an besprochenen themen: nahostkonflikt, religionskritik, medienkritik, minderheiten, usw. usf. alles sehr breit und intelligent, es geht nur leider im großen gebrüll unter. ich bezweifle, dass bei der synchronisation viel sprachwitz verloren gegangen ist. es genügt den trailer zu sehen.

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ich will nochmal Wolf Lotter aufgreifen:

“Der Kapitalismus ist entwicklungsfähig, während die Kritik an ihm stagniert.”

man sieht das wunderschön an che guevara-bettwäsche, myfest, guy fawkes-masken – die symbole der subversiven kritik werden kommerzialisiert und konsumierbar gemacht und verlieren dabei jeden charakter. das ist wie bei den grünen, deren hehre ideale von einst sind inzwischen CDU-mainstream, die partei im grunde überflüssig, weil sie sich nicht schnell genug neue themen gesucht haben. der konservative von heute kauft bio und lebt nachhaltig. genau so, wie der kapitalismus kritisiert wird, aber bitte schön bei einem guten wein von lidl und spotify im hintergrund. selbst der nonkonformismus an sich, der marihuana-konsum ist inzwischen legal kommerzialisiert, zumindest in teilen der USA. wenn Sie heute gegen etwas sein wollen, müssen Sie schon autos oder flüchtlingsheime anzünden oder einen sprengtoffanschlag planen.

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die linke hat sich verloren in ewigen debatten über gender und politischer korrektheit, ist im mainstream angekommen, kritik kommt nun von rechts und das ist nie gut. brüllhälse fordern die absetzung der regierung merkel, politisch klar denkende verteidigen die flüchtlingspolitik der kanzlerin, die flüchtenden ertrinken derweil im mittelmeer. es ist ein absurdes theater. die staaten der EU wollen wieder nationalstaaten sein, deutschland wartet nur auf einen bismarck. aber eigentlich benötigt es einer starken linken, die die probleme beim namen nennt, mit dem finger in der bankenwunde bohrt und die regierung hinterfragt.

Filmkritik: Er ist wieder da (2015)

Der Film zum Buch ist so zu ziemlich das unlustigste, was ich in den letzten Monaten gesehen habe. Und ich ahne auch schon den Grund, bei wikipedia heißt es nämlich:

“Im Buch erschießt Hitler keinen Hund.”

Was im Buch und Hörbuch wunderbar funktioniert hat, weil da genug Zeit und Raum war, geht hier leider total schief: Die Balance zwischen bitterem Humor und subtiler Gesellschafts- bzw. Medienkritik. Wir begleiten Hitlers erneute Machtergreifung lediglich medial, eine Auseinandersetzung jenseits des Öffentlichen findet nicht statt. Dafür viel brachialer Humor und Gejohle, Cameo-Auftritte, Seitenhiebe und Schenkelklopfer. Am befremdlichsten noch sind die pseudorealen Straßeninterviews. Es stößt einen ab.

Einen Metaschraubendreh weiter jedoch meine Lieblingsstelle: Im Hörbuch (gelesen von Christoph Maria Herbst) verwechselt der Kisoskbesitzer Hitler mit dem Schauspieler Michael Kessler in Switch reloaded, der dort eine Hitlerparodie (“Obersalzberg”) im Setting von Stromberg gibt. Da Stromberg von Herbst gespielt wird , ist das schon gut (haha). Im Film tritt dann Kessler als Moderator auf, es wird auch ein Ausschnitt aus Switch reloaded zitiert. – Findet das außer mir noch jemand lustig?