the beetroot diaries

ein paar tage vor weihnachten kamen ihr erste zweifel an der idee. dabei klang alles so einfach wie logisch: sie war eingeladen bei ihrer freundin; es konnte ja niemand verreisen. und bevor sie nach diesem verrückten jahr auch noch weihnachten alleine verbrachte, wollten sie sich treffen, zusammen essen und den abend verbringen. jeder sollte was kochen und mitbringen. neben einem kuchen wollte sie barszcz czerwony mitbringen, die polnische borschtsch-variante. das rezept ist nicht komplex und sie hatte das auch schon gemacht, kein ding. was ihr nun aber den kopf zerbrach, war der transport. sollte sie sich mit dem kopf in ein taxi setzen oder doch lieber die sbahn nehmen? sind töpfe überhaupt wasserdicht und was, wenn nicht? andere gefäße hatte sie nicht, die tupperdosen waren zu klein und zu wenige. einmachgläser schmiss sie immer gleich weg. verdammter ordnungswahn. egal, erstmal einkaufen. rinderbrust, speck, rote beete, bisschen gewürze und gemüse. so ging es vom supermarkt nach hause, der lauch lugte aus dem rucksack und schrie den passanten zu: seht her, hier wird frisch gekocht – weicht zur seite mit euren instantnudeln und dönern.

ein paar stunden später, es blubbelte und dampfte und roch aus der küche, bekam sie langsam panik. dass sie sich beim rote beete-schneiden in den finger geschnitten hatte – geschenkt. aber der finger mit dem pflaster störte doch arg und brannte auch ein bisschen. nur nicht aufgeben jetzt, dachte sie noch, als es an der tür läutete. die klingel war laut und durchdringend und ungewohnt, schließlich bekam sie fast nie besuch und pakete noch seltener. ja, fragte sie zögernd in der gegensprechanlage. polizei, können wir uns kurz mit ihnen unterhalten, knarzte es blechern zurück. ja-ha, sagt sie und drückte. die gedanken rasten durch ihren kopf, mit der polizei hatte sie noch nie etwas zu tun gehabt.

keuchend schleppte sich ein uniformierter mann die treppen hoch, sie konnte ihn eher hören als sehen und als er fast vor ihr stand, musste er erstmal wieder zu atem kommen. dass sie aber auch ganz oben wohnen müssen, drang es plötzlich aus ihm heraus. er stellte sich vor und kam gleich zum wesentlichen. ob ihr letzte nacht etwas aufgefallen sei, geräusche, verdächtige personen im haus, sowas. sie überlegte und schüttelte langsam den kopf. was ist den passiert, wollte sie fragen, doch der grimmige polizist guckte sie durchdringend an. nein, eigentlich nicht. mhm. so gegen zehn uhr abends? nein. dann schwiegen sie beide und ihre gedanken schweiften ab. in wolken drangen immer wieder gerüche aus der küche, die suppe kochte vor sich hin. dann begann der polizist zu erzählen, sie seien auf der suche nach einbrechern, die gestern abend im vorderhaus eingebrochen sind und es noch in weiteren wohnungen versucht haben. oh gott, entfuhr es ihr. wie in so einem fernsehfilm, schlug sich auch die hand vor den mund. ob das ein angeborener reflex ist oder erlernt, dachte sie noch. dann reichte ihr der polizist eine karte und meinte, sie solle sich melden wenn ihr noch was einfiele oder sie was beobachtet.

als sie hinter ihm die tür schloss, musste sie sich setzen und starrte gerade aus. ok, großstadt, verbrecher, davon hatte sie gehört, aber im eigenen haus? sowas passiert doch immer nur anderen oder in den nachrichten. jetzt wurde sie unruhig. überlegte fieberhaft, ob ihr nicht doch was aufgefallen sei gestern. sie ist früh ins bett gegangen und hatte geschlafen, aufgewacht war sie jedenfalls nicht.

später machte sie sich fertig und ging raus, die ganze zeit grübelnd und zweifelnd und in gedanken ganz woanders. die tür doppelt abgeschlossen. mechanisch lief sie zur sbahn, ein eisiger wind zog durch die häuserschluchten, die straßen waren leerer als sonst, aus vielen fenstern drang licht. auch die sbahn war nicht voll, ein paar leute nur, saßen vereinzelt in den sitzreihen. bei ihrer freundin ein großes hallo und wie gehts dir, komm doch rein und wo ist eigentlich die suppe. ach mist, die hatte sie vergessen. zum glück den ofen ausgemacht, da war sie sich sicher. aber eben vergessen. naja, wird schon gehen. sie feierten zusammen, das essen reichte für zwei, kein problem, es gab reichlich. sie redeten viel und lachten auch, aber es lag auch eine schwere in der luft. der einbruch, obwohl nicht erlebt, lag über ihnen und die gedanken und gespräche kreisten immer wieder darum. sie bat, heute hier schlafen zu können, das hatte sie früher immer gemacht, als sie noch zusammen zu partys gingen. naklar kein problem, hier sofa, handtuch, bettwäsche, gute nacht. das essen und der weißwein ließen sie schnell und traumlos einschlafen.

am nächsten morgen am frühstückstisch war die stimmung besser, die gedanken leichter. der weihnachtsstress war vorbei, es lagen ein paar freie tage vor ihnen, es gab nichts zu tun und das leben war leicht. gegen mittag verabschiedete sie sich und wollte nach hause, alleine sein und rumgammeln, was gab es besseres.

vor ihrer wohnungstür der schreck, die tür sah schrecklich aus und lehnte nur halb im rahmen, sie öffnete lagsam und lugte hinein. nichts, alles still. auf zehenspitzen ging sie durch ihre wohnung, die nun nicht mehr die ihre war, sondern ihr merkwürdig fremd vorkam. aber sie fand keine durchwühlten sachen, keine heraus gerissenen schubladen, keine verstreuten papiere. das lämpchen am laptop blinkte noch und auch sonst schien nichts zu fehlen. nur in der küche standen zwei schmutzige schüsseln mit löffeln auf dem tisch, dazwischen der leere topf.

ungefähr zur selben zeit, jedoch ganz woanders…

das irre seiner taten war ihm durchaus bewußt, jedoch tat er genau das, weil er keine lust verspürte, alternativen in betracht zu ziehen. eigentlich war es ihm auch egal. da lebte er lieber mit den meist unbequemen konsequenzen, als mit geistigem aufwand im vorfeld.

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blick in die kaffeetasse (leer)

heute war auch wieder so ein tag. am abend fühlte er nichts als leere und dieses unangenehme. nur war ihm selbst das egal und er starrte glasig und teilnahmslos in seinem dürftig und lieblos eingerichtetem zimmer umher. leblos und unnütz kam er sich vor. was er im grunde nicht war, wohl wissend. es gab so viel zu tun, dich stand er sich meist selbst im weg und es wurde nichts daraus.

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jannowitz, treppauf

morgen würde er das nochmal überdenken, überlegte er sich. da ändere sich alles, ja. er hatten einen plan und konnte zufrieden ins bett gehen. selig schlummernd schlief er ein.

als jannowitz ungefähr sieben stunden später aufwachte, war er nicht nur ganz woanders, sondern auch jemand anders. und in wahrheit waren auch keine sieben stunden vergangen, sondern eine abstrus andere zeitspanne, bei deren berechnung ein bestimmter winkel eine nicht unerhebliche rolle spielt. jannowitz’ gelenke quietschten obszön metallisch, wenn er sie bewegte, was er vermied, denn die schmerzen dabei waren unerträglich. auf eine gewisse diabolische weise empfand er dabei jedoch eine befriedigung, fast schon sexueller natur. unnötig zu erwähnen, dass ihn die situation irritierte.

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jannowitz, noch treppauf

von all’ dem hatte herr müntel keine ahnung, als er spätabends mit der ubahn nach hause vor. er blickte ausdruckslos in die ausdrucklosen gesichter der mitreisenden und dachte an gar nichts. die ubahn rumpelte rhythmisch durch die nacht. sie hielt, türen zischten auf und wieder zu, leute stiegen ein und aus. an seiner station stieg herr müntel aus, wie mechanisch bewegte er sich richtung ausgang, das war sein weg, das hatte er schon tausendmal gemacht.

dahingerotzte literatur [text und bild aus 2007]

ein trüber tag. regen. und das ungute gefühl, nicht zu wissen, wo man ist. oben und unten sind nur noch denkkategorien, keine gefühlten dimensionen mehr. sprache dringt an das ohr, fremdartige laute, deren ursprung ich nicht deuten kann. mein blick wird undeutlich, verschwimmt und der kopf wird zu brei. die gedanken verirren sich im rückenmark und kratzen unangenehm. der schädel bläht sich auf bis zur unendlichkeit, um dann mit doppelter lichtgeschwindigkeit mehrfach gekrümmt zu implodieren. mein herz tuckert. ich höre es. so deutlich wie ich die stimmen höre. ich zittere. an den wänden huschen schatten vorbei. fremdartige und verzerrte fratzen starren mich aus der dunkelheit an. ich will ihnen etwas zurufen, sie vertreiben mit witz und charme. meine kehle ist trocken und zugeschnürt, ich bekomme keinen laut heraus. das wars. ich sinke auf die knie…

später wache ich auf. keine ahnung, wieviel zeit inzwischen vergangen ist. ich friere. obwohl die luft hier sehr heiß und stickig ist. lichter blitzen auf und allmählich wird es hell. ich höre schritte. menschliche geräusche. nervös zuckend blicke ich mich um. nichts zu sehen. nur das licht, das mich jetzt immer öfters blended. was hat das zu bedeuten. ich zittere. kälte und wärme sind hier nicht definiert. sie kommen näher. ich drücke mich an die wand und halte den atem an. mehrere personen gehen an mir vorbei. schnell und bestimmt. sie bemerken mich offenbar nicht. oder interessieren sich nicht. ich erhasche einen blick auf ihre gesichter. blutleere augen, verzerrte münder. fratzen sind es. und sie starren weiter vor sich hin. plötzlich wieder stiller. das licht wird gleichmäßiger. zuckt jetzt nicht mehr. ich bin alleine. langsam stehe ich auf.

ganz schön wackelig auf den beinen. anscheinend muss ich länger gelegen haben. mir ist kalt. ich schaue mich um und entdecke nichts. keine gestalten, keine spuren, einfach nichts. langsam und vorsichtig gehe ich den gang entlang. drehe mich nervös um und lausche ab und an. der gang scheint endlos, kein ende in sicht. nicht mal abzweigungen oder türen. verlaufen geht nicht. mit meinen fingern taste ich an den wänden entlang. sie sind kalt und trocken. das licht strahlt gleichmäßig von der decke. zum nachdenken ist jetzt keine zeit, irgendwann bekomme ich sicher durst und hunger. bis dahin bleiben mir noch ein paar stunden, aber trotzdem…
mein zeitgefühl ist völlig verzerrt. wie lange mag ich mich schon hier unten befinden? ein paar stunden laufe ich gewiß jetzt schon. und warum denke ich, dass ich unter der erde bin? wegen dem beklemmenden gefühl in meinem innern? abrupt endet der gang und ich stehe vor einem treppenaufgang. nach unten. noch weiter runter also. ich lausche. nichts. es ist eine treppe aus stahl und sehr eng. zurück kann ich nicht mehr, viel zu weit. ich beginne, langsam die treppen herunter zu steigen…

ich steige die treppe hinunter und halte den atem an. meine tritte hallen in dem treppenhaus und lassen seine größer erahnen. keine fenster, nur lampen, die ein dunkles orange verbreiten. immer wieder halte ich an und schaue nach unten und oben. lausche. doch nichts. mein eigener atem kommt mir viel zu laut vor. ich steige hinab und bemerke, dass ich aufgehört habe darüber nachzudenken. es passiert einfach, ich lasse mich treiben und merke es nicht einmal. das macht mir angst. ich habe angst vor mir selbst. und plötlich wieder dieses beklemmende gefühl im bauch, alles zieht sich zusammen und verkrampft. meine kehle wird trocken und plötzlich verspüre ich diesen unglaublichen durst. ich will schreien, nach hilfe, nach rettung. doch ich kann nicht. meine laute bleiben in mir, wollen nicht meinem mund entweichen. panik ergreift mich. dunkle, schwarze panik. ausweglose panik. ich beginne die treppen herunter zu rennen. stolpere, falle über meine füße und kann mich gerade noch am geländer halten. ich stehe auf, merke, dass meine knie und arme plötzlich blutverschmiert sind, doch ich spüre keinen schmerz. ich würde gerne schreien, doch das beklemmende gefühl wird immer stärker. ich renne wieder. schneller, unvorsichtiger. aber ich will endlich ankommen. ich stürze jetzt mehrmals, spüre das warme blut auf meiner haut, aber keinen schmerz. endlich bin ich angelangt. unten. ich blicke nach oben und in der luft liegt noch das zittern der metalltreppe. dann ist alles ruhig. nur eine einzige tür führt hinaus. ich klinke…

… ich öffne die tür und betrete einen großen raum. überall säulen. hohe wände und wieder dieses durchdringende orange. das macht mich total fertig. niemand, nichts. absolut menschenleer. und kalt. ich spüre einen luftzug, atme die kälte ein und verharre immernoch an derselben stelle. meine augen blicken ängstlich umher, suchen einen ausgang, eine tür. aber ich sehe nur säulen. was hat das alles zu bedeuten? muss ich den ganzen weg wieder zurück? wie lange bin ich schon unterwegs? ich beschließe, mich erstmal umzusehen und abzuwarten. das wird schon alles richtig sein. wird sicher jemand kommen und mir alles erklären. der raum ist sicher dreißig mal dreißig meter groß und wird von zwei säulenreihen aufgeteilt. alte, grellorange fliesen lassen ihn kalt und unangenehm wirken. in der hintersten ecke entdecke ich ein telefon. sonst nichts. keine tür, keinen gang. sinnlose architektur, denke ich noch, als ich den hörer abnehme. kein ton. ‘hallo?’ höre ich mich sagen. nichts. doch dann knackt es verdächtig und eine angenehme und ruhige stimme antwortet mir…

//

hallo?

guten tag im system mr. hangry. wir freuen uns, sie hier begrüßen zu dürfen und wünschen ihnen noch einen angenehmen aufenthalt. um ihnen die tage so angenehm wie möglich zu gestalten, will ich ihnen kurz die regeln erläutern. schließlich sollen sie sich ja wohlfühlen. erstens. wir sind immer bei ihnen. egal, was sie brauchen: reden sie mit uns. teilen sie uns ihre wünsche mit und wir versuchen, sie ihnen zu erfüllen. zweitens. es geht nur nach vorn. es gibt weder abzweigungen noch ausgänge. versuchen sie niemals zurück zu gehen. drittens. stellen sie auf keinen fall fragen zweimal. ich will ihnen nichts verbieten, sie sind ein freier mensch. trotzdem sollten sie genau überlegen, was sie wissen wollen und was unser schweigen bedeuten könnte.

wer sind sie?

viertens. stellen sie sich nicht die frage nach dem sinn. das haben schon ganz andere vor ihnen gemacht. und sind daran verzweifelt…

was mache ich hier? was soll das?

fünftens. vor ihnen öffnet sich jetzt eine wand. gehen sie dadurch. sie haben sicher hunger und durst. man wird sie erwarten.

aber… aber… warum?

//

aufgelegt, keine antwort mehr. ich hänge den hörer auf. die wand öffnet sich tatsächlich, dahinter kommt eine treppe nach oben zum vorschein. langsam und nervös steige ich die treppe hinauf. das verlangen nach nahrung in meinem körper lässt nicht zu, länger über das gesagte nachzudenken. ich fühle mich auf einmal sehr schwer und müde. eigenartig…

ein weiterer großer raum. ein tisch mit essen. ein typ steht an dem tisch, nickt mir freundlich zu. er trägt einen weißen kittel, kurz geschorene haare und an seinem namensschild steht walter. mehr nicht. ich schaue ihn ratlos an und er etwas schüchtern zurück. seine augen sind merkwürdig gelb und kontrastlos.

was soll das alles?

er lächelt weiter, nun etwas dümmlich. sagt nichts.

was hat das zu bedeuten? was habt ihr vor?

etwas ungelenk deutet er eine verbeugung an und läuft schnell ohne zu rennen in die richtung aus der ich eben gekommen bin. er stürzt förmlich die treppen runter und seine schritte werden immer leiser. ich denke kurz daran, ihm nachzulaufen. aber meine knie zittern schon und die kehle brennt seit stunden. ich trinke wasser gleich aus der flasche und stopfe das essen ohne zu kauen in mich hinein. obst, gegrilltes fleisch, soßen, reis, kartoffeln, das ganze programm quer durch alle kulinarischen kulturkreise. ich verschlinge alles, bratfett läuft quer die mundwinkel runter. jetzt ist keine zeit für anständigkeiten, denke ich. außerdem ist der gastgeber auch nicht sehr höflich gewesen. das essen dauert keine zehn minuten. ich lehne mich mit dem rücken an eine säule. erstmal nachdenken. langsam macht sich eine ungewohnte müdigkeit in mir breit. ich versuche wachzubleiben, doch das nützt nichts und ich nicke ein…

… aufwachen. die augenlieder schälen sich auseinander. fallen immer wieder zu. krankenhauslicht. ich liege auf einer trage und werde schnell durch gänge gerollt. niemand sagt etwas. gesichter erkenne ich nicht. dann wieder alles schwarz…

über mir lichter, sonst alles schwarz. stimmen entfernen sich. langsam gewöhnen sich meine augen an die dunkelheit. von der vergangenen müdigkeit spüre ich nichts mehr, fühle mich frisch und frei. stehe auf und bemerke den stechenden schmerz an meinem unterarm. eine kleine narbe von etwa fünf zentimeter länge. frisch zugenäht und noch ganz dick. kein verband, aber auch kein blut. komisch. in dem raum selbst ist nichts, nur die liege und die lichter. blicke mich im raum um und bemerke tatsächlich eine tür. vielleicht ein ausgang? ich klinke vorsichtig, sie geht auf und ich spähe hinaus. nichts. nur wieder ein endlos langer gang. links oder rechts? oben oder unten. ein leichter schwindel überkommt mich, mehr innerlich, verdammte orientierungslosigkeit. ich rufe in den gang. nichts. ich rufe lauter. wieder nichts. wie lange machen die das schon mit mir? ich kann mich kaum noch an mein leben davor erinnern, so lange muss das doch noch garnicht her sein. meinen namen habe ich vergessen. mr. hangry hatten sie mich genannt. doch das war sicher nur ein schlechter scherz, so bescheuert heißt doch keiner.
und während ich in der tür stehe und vor mich hin überlege, höre ich schritte. laute, schnelle, stechende schritte. von stiefeln. das sind mehrere. gleichschrittig kommen sie immer näher. doch ich kann nichts erkennen, obwohl die gänge endlos und überschaubar sind. was soll das? das dröhnen wird immer lauter und überlagert sich. panik erfasst mich. doch ich beschließe, diesmal nicht zu kneifen und dem ansturm standzuhalten. ich stelle mich in die mitte des ganges und warte ab. immer gieriger und lauter dringen die geräusche an mein ohr, stilisieren sich zu einem gigantischen lärm und huschen an mir vorbei. ich habe einen leichten windhauch gespürt. jetzt werden sie wieder leiser. zu sehen war nichts. langsam begreife ich garnichts mehr. es wird immer rätselhafter. wie aus reflex fasse ich an meine frische narbe und beschließe in die richtung zu laufen, aus der sie gekommen waren. also nach rechts. ‘immer nach vorn, niemals zurück’ hatte mir die stimme eingeredet. aber woher soll ich denn wissen, wo vorn ist? ich schließe leise die tür und mache mich auf meinen weg…

monate später. die tage zerfließen, die zeit zerinnt und ich habe meinen widerstand aufgegeben.die verwirrung der ersten tage verschwand. an mein vorheriges leben kann ich mich nicht erinnern. ob es das überhaupt gegeben hat? manchmal überfallen mich düstere ahnungen oder gedankenfetzen. doch die verfliegen so schnell. tief in mir drinnen gibt es aber was. sonnenlicht – ich muss es irgendwann mal gespürt haben. die brührung einer frau. ich vermisse es, obwaohl ich keine ahnung habe, ob es überhaupt existiert. immer, wenn mich solcherart gedanken überfallen bekomme ich ein schlechtes gewissen. ob es erlaubt ist, zu denken? sich zu erinnern? mein kopf dröhnt dann und ich spüre böse blicke auf mir ruhen. die gespräche mit anderen sind hier nicht erwünscht. meine fragen werden mit eisernen blicken quittiert. manchmal vergehen tage, bis ich wieder jemanden zu gesicht bekomme. meist sind es vorbei huschende schatten. oft verliere ich die nerven und schreie. das hilft. dann brülle ich meinen ganzen körper leer. schlafe dann ein und fühle mich besser. das hilft wirklich. manchmal schmerzt die narbe und der kopf.

aber im grunde gehts mir gut. ich bin gut genährt, habe zugenommen und bin viel unterwegs. immer nur geradeaus. den ganzen tag laufen, das hält fit. mache jetzt auch regelmäßig klimmzüge an den halterungen oberhalb der türen. ich vermisse andere menschen, gespräche. aber jetzt, da ich weiß, wozu menschen fähig sind, habe ich eine tiefe abneigung, abscheu oder gar ekel entwickelt. auch gegen mich selbst.und das sitzt tief und nagt an mir.

ob ich noch wissen will, wozu das ganze und ob es irgendwann aufhört? keine ahnung, im moment freue ich mich über jeden tag, den ich lebe. aber tue ich das wirklich? ist das real? bin ich real oder die anderen? ich merke schon, ich stelle jetzt zu viele fragen. es zerreißt mir gerade meinen körper. ich muss brüllen….

Filmidee: Verloren nach dem Fall

eine drehbuchidee. für einen konzeptionellen konzeptfilm. eine metaliteraturverfilmung mit autobiographischem hintergrund.

blauer raum  - febr 2007

wir sehen eine renovierungssituation. ein mann steht auf einem stuhl, streicht mit einer farbrolle die wand weiß. unter ihm zeitungspapier, farbkleckse, farbeimer, pinsel. seine klamotten sind unspektakulär, jeans, t-shirt, beides fleckig, vollgekleckst, alt, speckig.

nachdem die kamera eine weile ruhte, ihn still beobachtete, zoomt sie langsam an sein ohr, der blick fällt auf seine kopfhörer, kleine in-ear-dinger, die vorher nicht auffielen.

aus dem off dringt leise, aber immer lauter werdend, Peter Matić‘ stimme:

Aber wenn von einer lang zurückliegenden Vergangenheit nichts mehr übrig ist, nach dem Tode der lebendigen Wesen, nach der Zerstörung der Dinge, verweilen ganz alleine, viel fragiler, aber lebenskräftiger, immaterieller, ausdauernder, treuer, der Geruch und der Geschmack noch lange Zeit, wie Seelen, entsinnen sich, warten, hoffen, auf den Ruinen von allem übrigen, und tragen, ohne zu wanken, auf ihren kaum wahrnehmbaren Papillen den ungeheuren Bau der Erinnerung.
Combray, S. 72, Übersetzung Kleeberg, 2002 – (( zitate geklaut von dieser seite: ))

die kamera zoomt wieder heraus, auf dieselbe einstellung wie am anfang. wir schauen dem mann beim streichen zu. stoisch, scheinbar ohne müdigkeit, streicht er. unterbrochen nur von seinen regelmäßigen eintauchen der farbrolle in den eimer. währenddessen immernoch Matić’ stimme aus dem off

weißer raum - febr. 2007

dann der fall, nach einem erneuten abstieg und eintauchen der rolle in den eimer und wieder-auf-den-stuhl-steigen, passiert es: er rutscht, der stuhl kippelt bedenklich, der mann stürzt, ungebremst und nirgends festhaltend zu boden, auf den rücken. bleibt da liegen. schnitt. die kamera an der decke, sehen wir den mann zwischen seinen werkzeugen liegend von oben. teilweise weiß, weil der eimer kippte. er kann sich nicht bewegen. ist er gelähmt? die off-stimme wird wieder lauter:

Im Zustand der Krankheit merken wir, daß wir nicht allein existieren, sondern an ein Wesen aus einem ganz anderen Reich gefesselt sind, von dem uns Abgründe trennen, das uns nicht kennt und dem wir uns unmöglich verständlich machen können: unseren Körper.
– Guermantes S.417 –

und so geht das dann weiter. auf seinem mp3-player befindet sich die 7 tage nonstop lesung von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. die frage ist nun, ob er zuerst dehydriert oder seinem player der akku ausgeht.

ich finde offenes ende besser. und ihr so?